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Honigtot (German Edition)

Honigtot (German Edition)

Titel: Honigtot (German Edition)
Autoren: Hanni Münzer
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überdies zur gleichen Zeit mit dem Wagen vorgefahren kam, blieb es bei einer flüchtigen Vorstellung. Elisabeth war freilich aufgefallen, dass der Mann im Trenchcoat an der Schulter verletzt zu sein schien.
    Bei seinem Anblick hatte Elisabeth plötzlich ein merkwürdiges Gefühl von Flucht überkommen. Sie hatte sich daher in geradezu unziemlicher Hast von Helga verabschiedet, deren Aufmerksamkeit zu diesem Zeitpunkt jedoch in Gänze den merkwürdigen Besuchern galt.
     
    Ihr Mann Gustav schob sie nun auf Armeslänge von sich und unterbrach Elisabeths Gedankengang. Verständnislos fragte er nach: „Was hast du gerade gesagt, Elisabeth? Wen hast du heute getroffen?“ Dabei schob er sie in den Salon und schloss die Türen.
    Da erzählte ihm Elisabeth alles: Dass sie nach ihrem Besuch bei ihrer Mutter noch in Utting bei Helga gewesen war und dort jenen blassen Österreicher getroffen habe, dessen Name ihr entfallen war.
    „Mein Gott!“, rief Gustav und wurde noch blasser, fast schüttelte er seine Frau, die er immer noch an den Armen gepackt hielt. „Das war der Hitler! Du hast Adolf Hitler getroffen. Ganz München sucht den Mann! Dieser Verbrecher hat gestern versucht, gegen die Regierung zu putschen. Und jetzt versteckt er sich bei den Putzingers?“
    „Ach, darum überall die Straßensperren. Das war ein grässlicher Hindernislauf hierher, Gustav. Darum bin ich auch so spät, wir mussten …“
    „Das ist doch jetzt nicht wichtig, Elisabeth“, unterbrach Gustav seine Frau, was er sonst niemals tat. „Wichtig ist, dass du jetzt da bist und dir nichts passiert ist. Es hat viele Tote gegeben. Ich bin vor Sorge um dich beinahe verrückt geworden. Jetzt brauche ich erst einmal einen Cognac. Dann erzähle ich dir alles.“
    Nachdem er sich eingeschenkt und einen Schluck genommen hatte, sagte Gustav eindringlich: „Hör mir zu, Elisabeth. Du darfst niemandem erzählen, dass du den Mann heute gesehen hast und vor allem nicht, wo. Es ist schlimm genug, dass er Helga und Bubi da mit hineingezogen hat. Ich will mit diesem Mann nichts zu tun haben. Er ist gefährlich.“
    Danach berichtete ihr Gustav von den weitreichenden Ereignissen, wie sie sich am Abend zuvor, nämlich am 08. November 1923, in München zugetragen hatten.
     
    Anführer einer aufstrebenden Partei in Bayern hatten vom Münchner Bürgerbräukeller aus einen Putschversuch unternommen. Am nächsten Mittag waren die Putschisten durch die Stadt marschiert und an der Feldherrnhalle am Odeonsplatz durch regierungstreue Truppen gestoppt worden. Dabei hatte es fast zwei Dutzend Tote gegeben.
    Die Revolution war gescheitert, und der Anführer und seine Mitstreiter befanden sich auf der Flucht.
    Noch immer stand Gustav im Bann der ungeheuerlichen Ereignisse. Ein Putsch, um die bayerische Regierung zu stürzen! Kein Wunder, dass München zur Stunde einem brodelnden Kessel kurz vor dem Überkochen glich; überall in der Stadt wurde fieberhaft nach den flüchtigen Revolutionären gefahndet.
    Den an dem vereitelten Putsch ebenfalls beteiligten General Ludendorff, ein verdienstvoller Held des 1. Weltkriegs, hatte man bereits im vollen Ornat seiner kaiserlichen Uniform in Gewahrsam genommen.
    Um des Rädelsführers habhaft zu werden, setzte der bayerische Ministerpräsident und seit kurzem Generalstaatskommissar, Ritter von Kahr, die volle Wucht der ihm zur Verfügung stehenden Staatsmacht ein. Von Kahr hatte es wohl mehr als nur persönlich genommen, dass der Hitler ihn stundenlang im Bürgerbräukeller festgehalten, gedemütigt und schließlich mit vorgehaltener Pistole gezwungen hatte, sein schriftliches Einverständnis zur Bildung einer neuen Regierung zu geben, die Deutschland aus Not und Schmach erretten sollte.
    Dabei war der Mann noch nicht einmal Deutscher, sondern Österreicher! Soll er doch Österreich retten und die Finger von den Deutschen lassen, hatte Gustav erbost ergänzt.
     
    Kaum, dass Gustav seine Elisabeth über die nächtlichen, schockierenden Ereignisse unterrichtet hatte, schlug die Haustürglocke an.
    Ottilie, das Hausmädchen, öffnete und verkündete sodann, „dass der Herr Doktor zu einer dringenden Geburt gerufen werde.“ Sie ergänzte noch wichtig: „Steißlage“. Ottilie pflegte einen guten Kontakt zur Hebamme des Bezirks. Sie nahm überhaupt an allem und jedem Anteil, gefragt oder ungefragt, und man konnte sie daher getrost als eine Art inoffizielle Kolumnistin des Viertels bezeichnen.
    Nun schlüpfte der Doktor in seinen Mantel,
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