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Holundermond

Holundermond

Titel: Holundermond
Autoren: Jutta Wilke
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es nicht glauben. »Aber«, verwirrt schaute sie von einem zum anderen, »was war dann in dem Paket, das Giovanni Vivianes Bruder gegeben hat? Und wie konnte Giovanni überhaupt durch die Zeit reisen?«
    »Johanna hatte gesehen, dass ihr in Schwierigkeiten steckt, und hat mich sofort geholt.« Giovanni war inzwischen ebenfalls aufgestanden und strich mit der Hand über das fertig geschnürte Bündel. »Und was darin war? Nun, der Kerzenleuchter, der hier auf dem Altar stand. Ziemlich hässlich und nicht besonders wertvoll. Kein großer Verlust für diese Kirche.« Giovanni grinste von einemOhr zum anderen und machte damit seinem Sohn Konkurrenz.
    Jetzt verstand Nele auch das wütende Brüllen, das sie immer noch im Ohr hatte und das sie auf ihrer Reise durch die Zeit begleitet hatte. Der schwarze Mönch musste schnell gemerkt haben, dass er betrogen worden war. Und vor lauter Zorn hatte er einen tödlichen Fehler begangen.
    Dann fiel Nele noch etwas ein, das ihr Herz bis zum Hals schlagen ließ. Was war mit den anderen Kirchenschätzen? Hätte man die nicht ebenfalls in die Gegenwart retten können? Viviane schien ihre Gedanken gelesen zu haben, denn sie schüttelte schon den Kopf, bevor Nele ihre Frage überhaupt formulieren konnte.
    »Wir haben die anderen Gegenstände bewusst nicht geholt, Nele, die Hüter der Zeit haben sie wieder an sich genommen.« Sie ging zum Gemälde und zeigte darauf. »Kannst du dich erinnern, hier war ein Paar Augen abgebildet, die Augen des schwarzen Mönchs.« Nele erschauderte bei der Erinnerung daran. Sie hatte immer das Gefühl gehabt, sie könnten jeden ihrer Schritte beobachten. Dort, an der gleichen Stelle, waren auch jetzt wieder Augen zu sehen, aber diese gehörten einer Frau.
    »Mein Bruder hatte den goldenen Ring. Durch diesen war er mächtiger, als er je hätte sein dürfen. Aber auch diesen Ring werden wir den Hütern zurückgeben.«
    Täuschte sich Nele oder hörte sie auch eine Spur von Wehmut in Vivianes Stimme?
    »Was wäre passiert, wenn es Holzer gelungen wäre, deinem Bruder alle Gegenstände zu überbringen?« Flavio stellte die Frage, die Nele auch schon auf der Zunge brannte.
    Viviane seufzte. Sie dachte einen kurzen Moment nach, bevor sie antwortete: »Ihr werdet verstehen, dass ich euch nicht alles erzählen darf. Aber das sollt ihr wissen: Die vier Gegenstände waren wie Schlüssel. Zusammen mit dem Ring hätten sie das Tor durch die Zeit für immer geöffnet. Zeit wäre nicht mehr eine Linie gewesen, sondern ein ewiger Kreis. Es sollte ein Geschenk an die Menschheit sein. Ein Geschenk aus einer längst vergangenen Epoche. Aber die Menschheit ist noch nicht reif dafür.«
    Nele schaute sich um. Johanna, Samuel, Flavio und sie. Vier Kinder.
    Vier Engel, vier Evangelisten, vier Gegenstände, vier Kinder. Wenn sie eins gelernt hatte in den letzten Tagen, dann, dass das alles kein Zufall war.
    Giovanni ging zu Samuel und hob ihn vom Fußboden auf. »Es wird langsam hell«, sagte er und nickte mit dem Kopf zu einem der großen Fenster. Und tatsächlich, das Licht des Mondes verblasste und machte den ersten Sonnenstrahlen Platz. »Ich für meinen Teil könnte jetzt ein gutes Frühstück vertragen. Und der junge Mann hier«, er lächelte Samuel an, der sich an ihn schmiegte wie ein junges Hündchen, »der gehört dringend in ein warmes Bett.«
    Viviane nickte und nahm Johanna an der Hand. »Das ist eine sehr gute Idee. Ich schlage vor, Jan bringt das Schwertzurück an seinen Platz und wir treffen uns dann in der Pension.«
    Jan nickte und wandte sich schon zum Gehen, als er sich noch einmal umdrehte und Nele ansah. »Möchtest du mitkommen in die Mariahilfer Kirche und mir helfen?«
    Nele schüttelte den Kopf und war dankbar, als Flavio ihre Hand nahm und an ihrer Stelle antwortete: »Nele und ich, wir haben noch etwas zu erledigen. Wir sehen uns dann später.«

36
    Nele wusste sofort, wohin Flavio mit ihr wollte, als er sie zum Seitenausgang der Kirche führte. Sie hielt seine Hand fest und folgte ihm durch die langen Gänge des Klosters bis zu jener Tür, die sie benutzt hatten, um heimlich in die Kartause zu kommen.
    War das wirklich erst in dieser Nacht gewesen? So viel war passiert in der kurzen Zeit.
    Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie endlich vor der Tür standen, die zum Friedhof hinausging, und Flavio die Hand auf die Klinke legte.
    »Was ist? Wollen wir nachsehen?« Flavio schaute sie fragend an.
    Nele nickte. Auch wenn es ihr schwerfiel, den Friedhof
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