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Holunderblut

Holunderblut

Titel: Holunderblut
Autoren: Barbara Brinkmann
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gegen das Einsteckschloss der Eisentür gehalten und abgedrückt. Und noch einmal und noch einmal und noch einmal. Und sich gegen die Tür geworfen, so lange, bis sie endlich, endlich nachgegeben hat.
     
    Wie von fern war das Teichplätschern zu hören, und von fern war auch das Martinshorn vom Einsatzwagen 2 zu hören, das war irgendwie verstimmt, das war der Katharina gleich aufgefallen, nachdem sie den Wagen aus der Werkstatt zurückbekommen hatten. Durch den winzigen Schlitz zwischen Wand und Decke des Kellerraums waren ein paar Sterne zu sehen, und ein schwaches blaues Flackern, und noch mehr Schritte und Rufe und Matteo, der sie aufgehoben hat und hochgetragen,
er hat gesagt, ich werde sterben
, und der Sternenhimmel über ihr, Hunderte, Tausende glitzernder Lichtpunkte, wie verrückt gewordene Tüpferl, durcheinander, ineinander verschwimmend, die Stimmen vom Brunner, vom Hansi und noch ganz viele andere, der Geruch vom Leder der Autositze und ein rasender Kopfschmerz. Und entsetzliche Übelkeit. Und die Katharina hat um jeden Preis verhindern wollen, sich in dem teuren Auto neben ihrem tollen Mann zu erbrechen, aber ihre Gedanken waren zu langsam.
     
    Er ist auf dem kalten Estrich vor der Katharina in die Knie gegangen, und die magere Gestalt neben ihr hat ihn mit angsterfüllten Augen angestarrt und die Katharina im selben Augenblick losgelassen. Der Matteo hat schon gewusst, wer das war, er hat ja sein Bild gesehen gehabt und seinen Jungen und einen Blick in sein Leben geworfen, und um wenigstens ansatzweise Trost zu spenden, den er vielleicht selbst auch nötig gehabt hätte, hat er gesagt: »Hilfe kommt, die Verstärkung kommt jeden Moment, keine Angst.« Aber der ausgemergelte Mann hat ihn nicht verstanden, und die Katharina war unter Schock. Der Matteo hat ihren rechten Arm um seine Schulter gelegt, sie auf seinen Schoß gezogen und sie festgehalten. Ihr Schreien ist zu einem Weinen und Schluchzen geworden, bis sie still war. Und nur noch gezittert hat.
    »Ich bin da, Katharina.« Er hat sie gewiegt und einen kurzen Gedanken an den Dr.   Lechner im Hausflur über ihnen verschwendet. Und Schritte gehört. Wie grausam hat es für den Altmann sein müssen, wochenlang hier unten eingesperrt zu sein und jeden Schritt zu hören.
    »Ich sterbe.«
    »Ich bringe dich nach Hause, was meinst du?«
    »Ich sterbe.«
    »Kannst du aufstehen? Nein? Komm, ich trag dich, ich bring dich hier raus.«
    »Ich sterbe.«
    Und als er die Katharina aufgehoben und sich aufgerichtet hat, sind vier uniformierte Polizisten und der Brunner den Kellergang entlanggekommen, und ihr Anblick, mit diesen schußsicheren Westen und Handschellen am Gürtel und ihren Waffen im Anschlag, der war unglaublich erlösend für ihn.
    »Kathi, was is passiert?«, hat der Brunner ganz besorgt gefragt, und sie hat ganz schwach gesagt: »Der Altmann«, und da hat der Brunner es verstanden. Die Kollegen haben sich um den Altmann gekümmert, und der Brunner hat den Matteo auf Englisch gefragt: »Sollen wir einen Krankenwagen rufen?«
    »Nein, kein Problem, ich fahre sie, mit meinem Auto geht es schneller.«
    »Kümmer dich um die Kathi, fahr mit ihr in die Klinik, die sollen schauen, ob sie in Ordnung ist, vielleicht ist es ja nur der Schock.
«
    Und der Matteo nur: »Ja, ja natürlich.«
    Und der Brunner: »Den Dr.   Lechner haben wir, und die Hohenstein werden wir auch noch finden, zu Fuß kommt sie nicht weit.«
    Der Matteo hat die Katharina zu seinem Auto getragen, und sie hat den Kopf nach hinten gelegt und in den Sternenhimmel über sich geschaut und gesagt
mi ha detto che morirò
, und sie hat es so ohne jegliche Emotion gesagt, dass er Angst bekommen hat.

ZWANZGE
    Der Dr.   Busconi war ein Segen.
    Sie haben ihn aus der Inneren herbestellt in die Neurochirurgie, Abteilung Radiologie, CT und MRT, weil er neben Hochdeutsch und Mühldorfer Bairisch auch ein sauberes natives Italienisch beherrscht hat.
    Er hat sich vor den Lichtkasten gestellt, an dem MR T-Bilder aufgehängt waren, und auf Italienisch die Diagnose vorgetragen, die seine Kollegen aufgrund der Schnittbilder von der Katharina ihrem Kopf gestellt hatten.
     
    »Subduralhämatom rechtsseitig, aufgrund des Sturzes, den die Patientin vor einer Woche erlitten hat, durch einen Kollaps mit Bewusstseinsverlust nach schwerer Gastroenteritis mit folgender akuter Emesis. So weit die Kollegen, laut Krankenblatt.«
    »Und das heißt?«, hat der Matteo vorsichtig gefragt. Weil mit einer Diagnose
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