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Holidays on Ice

Holidays on Ice

Titel: Holidays on Ice
Autoren: David Sedaris
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anderer Zwerg füllt den Bestellschein aus, und Wochen später kommt das Bild mit der Post. Wir verkaufen also eigentlich nur die Idee eines Bildes. Eine Idee kostet neun Dollar, drei Ideen kosten achtzehn.
    In meinem schlimmsten Albtraum stehen zweiundzwanzigtausend Menschen vor meiner Kasse. Kassierer m öchte ich nicht immer sein müssen, nur hin und wieder. Das schlimmste ist, dass ich, nachdem ich dreihundert Dollar angehäuft habe, zweihundert entnehmen muss, ein halbes Dutzend Formulare ausfüllen und mit dem Umschlag voller Bargeld zur Sammelstelle in der Porzellanabteilung oder zum Tresorraum auf dem Balkon über dem Parterre hasten muss. Ich darf mich nicht vorher umziehen. Ich muss als Zwerg verkleidet gehen. Ein Zwerg im Weihnachtsland ist das eine, ein Zwerg in der Sportbekleidung ist ganz was andres. Heute Nachmittag haben wir uns Reden und Pr äsentationen in einem fensterlosen Konferenzsaal voller Schreibtische und Plastikstühle angehört. Wir erfuhren, dass das Weihnachtsland in der zweiten Dezemberwoche Gastgeber der »Aktion Besonderes Kind« ist, und da sollen arme Kinder Gratis-Geschenke kriegen, die vom Laden gespendet werden. Außerdem gibt es noch einen Vormittag speziell für schrecklich kranke und missgestaltete Kinder. An dem Tag obliegt es dem Zwerg, das Kind beim Zauberbaum zu begrüßen und dann zum Haus zurückzujoggen, um unseren Weihnachtsmann zu wappnen.
    »Das nächste Kind hat keine Nase«, oder: »Crystals Körper ist zu neunzig Prozent von Verbrennungen dritten Grades bedeckt.«
    Keine Nase. Bei diesen Kindern muss der Weihnachtsmann aufpassen, dass er nicht fragt: »Und was wünschst du dir zu Weihnachten?«
    Der Sicherheitschef hielt uns eine Vorlesung und erz ählte uns, Macy's am Herald Square leide Jahr für Jahr unter Angestelltendiebstahl in Millionendollar-höhe. Folglich behandelt der Laden seine Angestellten wie Verbrecher mit einem langen Vorstrafenregister. Es werden Belohnungen in bar angeboten, wenn man Leute anzeigt, und jedes Mal, wenn wir den Laden verlassen, werden unsere Taschen durchsucht. Man zeigte uns Videos, auf denen angebliche frühere Angestellte den Kopf hängen lassen und den Tag verwünschen, an dem es ihnen in den Sinn kam, jene Lederjacke zu stehlen. Die Schauspieler blickten in die Kamera, um zu erklären, wie sie sich mit ihrer Verhaftung Freund schaften und Familienleben ruiniert und letztlich die Zukunft verbaut haben.
    Ein Typ starrte seine H ände an und seufzte: »Jetzt werde ich nie zum Studium der Jurisprudenz zugelassen. Jetzt nicht mehr. Nicht nach dem, was ich getan habe. Nichts zu wollen.« Er stockte und schüttelte voll unguter Erinnerungen den Kopf. »O Mann, danach nicht mehr. Nichts mehr zu wollen.«
    Ein einsames, nachdenkliches M ädchen saß in einer Cafeteria, betrachtete seine leere Tasse und ächzte: »Ich weiß noch, wie ich mit all meinen Macy's-Freunden in den Feierabend trat. Gott, waren das schöne Zeiten. Ich habe diese Menschen geliebt.« Sie starrte ins Leere, bevor sie fortfuhr: »Nun, es erübrigt sich wohl zu sagen, dass diese Leute mich nicht mehr besuchen oder anrufen. Diesmal habe ich echt Mist gebaut. Warum habe ich das getan? Warum?«
    Macy's hat zwei Gef ängniszellen auf der BalkonEtage und nimmt dreitausend Ladendiebe pro Jahr fest. Außerdem sollten wir im Weihnachtsland noch die Taschendiebe im Auge behalten.
    Taubstummen-Dolmetscher kamen und brachten uns bei, wie man in Zeichensprache »FROHE WEIHNACHTEN! ICH BIN EIN HELFER DES WEIHNACHTSMANNS!« sagt. Sie sagten uns, wir sollten während des Fuchtelns sprechen, und zwar mit lauter, klarer Stimme und strahlendem Gesichtsausdruck. Wir lernten die Zeichen für: »DU BIST EIN SEHR HÜBSCHER/S JUNGE/MÄDCHEN! ICH LIEBE DICH! MÖCHTEST DU EINE ÜBERRASCHUNG?« Meine Schwester Amy wohnt über einem gehörlosen Mädchen und hat ziemlich viel Zeichensprache gelernt. Mir hat sie auch ein bisschen beigebracht, und jetzt kann ich sagen: »DER WEIHNACHTSMANN HAT EINEN TUMOR VON DER GRÖSSE EINER OLIVE IM HIRN. VIELLEICHT GIBT SICH DAS BIS MORGEN, ABER ICH GLAUBE ES NICHT.«
    Heute Morgen hielten uns die Gesch äftsführer vom Weihnachtsland eine Vorlesung und stellten uns eine fotokopierte Broschüre voller Regeln vor, den »Zwergenführer«. Die meisten Geschäftsführer sind ehemalige Zwerge, die die Zuckerstangenleiter erklommen, sich aber lebhafte Erinnerungen an ihre Zeiten in Uniform bewahrt haben. Sie beschlossen das Meeting mit den Worten: »Vergessen Sie
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