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Holidays on Ice

Holidays on Ice

Titel: Holidays on Ice
Autoren: David Sedaris
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Briefträger die Weihnachtskarte der Nachbarn brachte, auf welcher »Weihnachten heißt Etwas-von-sich-selbst-Schenken« stand. Zu sehen war Doug, auf einem Operationstisch ausgestreckt, während ein Team von Chirurgen mit Eifer und Bedacht einen der Cottinghamschen glitzernden Lungenflügel entnahm. Wenn man die Karte aufklappte, sah man eine Fotografie des Organempfängers, eines abgehärmten Steinkohlekumpels, der ein Schild mit der Aufschrift »Doug Cottingham hat mir das Leben gerettet« in die Höhe hielt.
    Wie konnte er das wagen! Beth und ich hatten das Thema »Medizinische Großzügigkeit« praktisch erfunden, und die kalte Wut erfasste uns angesichts dieses selbstgefälligen, überlegenen Gesichtsausdrucks, der unter der Atemmaske unseres Nachbarn hindurch sickerte. Jedes langverheiratete Ehepaar kann, in Zeiten der Krise, ohne Worte kommunizieren. Diese Tatsache wurde bildhaft, als meine Frau und ich zur Tat schritten bzw. sprangen. Indem sie ihr halb zugeklebtes Kuvert fallen ließ, rief Beth im Krankenhaus an, während ich von unserem Autotelefon aus einen Fotografen bestellte. Die entsprechenden Vereinbarungen wurden getroffen, und bevor die Nacht vor über war, hatte ich beide Augen, eine Lunge, eine Niere und mehrere wichtige Adern nächst dem Herzen gespendet. Da sie eine unnatürliche Zuneigung zu ihren inneren Organen gefasst hatte, brachte Beth ihre Kopfhaut, ihre Zahne, ihr rechtes Bein und beide Brüste ein. Erst nach der Operation wurde uns klar, dass die Beiträge meiner Frau nicht übertragbar waren, aber da war es bereits zu spät, sie wieder anzunähen. Die Kopfhaut schenkte sie einem verdutzten Krebspatienten, aus ihren Zähnen bastelte sie eine Souvenir-Halskette, und Bein und Brüste brachte sie ins Tierheim, wo sie von Hand an einen Wurf verhungernder Border-Collies verfüttert wurden. Das kam sogar in die Abendnachrichten, und wieder waren die Cottinghams grün vor Neid, weil wir es so günstig getroffen hatten. Organspenden an Menschen waren zwar nicht zu verachten, aber angesichts dessen, was Beth für diese armen, verlassenen Welpen getan hatte, waren natürlich alle schier aus dem Häuschen. Auf jeder, aber auch jeder Weihnachtsparty bettelten die Gastgeber meine Frau an, sich vom Hund des Hauses Pfötchen geben zu lassen oder über dem Panzer ihrer kränkelnden Schildkröte einen Segen zu sprechen. Der bergmännische Empfänger von Doug Cottinghams Lunge war gestorben, als seine Zigarette Bettdecke und Brustverband in Brand gesteckt hatte, und nun war der Name Cottingham praktisch wertlos.
    Wir waren auf der Heiligabend-Party bei den Hepplewhites, als ich zuf ällig hörte, wie Beth flüsterte: »Dieser Doug Cottingham konnte nicht ein mal eine anst ändige Lunge spenden!« Dann lachte sie, lange und heftig, ich legte ihr die Hand auf die Schulter und spürte den sanften Biss ihrer SouvenirHalskette. Zweifellos erregte ich ebenfalls einiges Aufsehen, aber diese Nacht gehörte Beth, und ich überließ sie ihr gern, war ich doch so ein großzügiger Mensch. Wir waren ein Team, sie und ich, und wenn ich auch nicht sehen konnte, wie die Menschen uns anblickten, so konnte ich es doch so deutlich fühlen wie die Wärme, die das tosende Kaminfeuer der Hepplewhites abstrahlte.
    Es w ürde andere Christfeste geben, aber ich glaube, Beth und ich wussten beide, dass dieses etwas ganz Besonderes war. Innerhalb eines Jahres sollten wir das Haus, unser Geld und was uns noch an Eigentum verblieben war, verschenken. Nachdem wir uns nach einer passenden Gegend umgesehen hatten, zogen wir in ein Dorf aus Pappkartons direkt unter dem Autobahnkreuz Ragsdale. Die Cottinghams zogen, wie es ihre Art war, nebenan in einen kleineren Karton. In der Vorweihnachtszeit klappte es mit dem Betteln recht gut, als aber der Winter so richtig hereinbrach, wurde das Leben immer schwerer, und Woge um Woge wurden wir von Kummer und Krankheit heimgesucht. Beth starb nach langem, verzweifeltem Kampf an Tuberkulose, aber erst, nachdem Doug Cottingham und seine Frau an Lungenentzündung eingegangen waren. Ich versuchte, mich nicht davon beeindrucken zu lassen, dass sie zuerst gestorben waren, aber in Wahrheit machte es mir doch schwer zu schaffen. Immer, wenn mich mein Neid zu übermannen drohte, ließ ich jene perfekte Heiligabend-Party bei den Heppelwhites vor meinem geistigen Auge erstehen. Unter meiner Decke aus feuchten Zeitungen bibbernd, versuchte ich, mich an den tr östlichen Klang von Beths sorglosem Gelächter
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