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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
Autoren: Jorge González
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Pullover – für die kalten Winter in Kuba!?! – oder häkelte Tischdecken. Sie konnte sogar beim Fernsehen stricken, ohne auf ihre Finger zu achten. Ich wollte das auch unbedingt lernen. Also haben wir eine Weile versucht, zusammen beim Filmeschauen zu stricken, aber ich war einfach nicht geduldig genug und hatte bloß Augen für die Hollywooddiven in ihren eleganten Seidenroben und Pelzmänteln.
    Diese Chica-Sonntage habe ich sehr genossen. Meistens verbrachte ich sie mit meiner Oma und meiner Mama, manchmal auch noch mit meiner Schwester oder ein paar meiner vielen Tanten. Ab vierzehn Uhr trafen sich alle bei uns zu Hause im Wohnzimmer, und dann saßen die Chicas und ich in geflochtenen Schaukelstühlen vor dem alten Schwarz-Weiß-Fernseher, um auf einem der beiden staatlichen Fernsehsender das Spielfilmprogramm anzuschauen – ich immer neben meiner Oma auf einem Minischaukelstuhl. Draußen brütete die Mittagshitze, doch drinnen war es angenehm kühl. Während der Film lief, klingelte auf der Straße der Eiswagen, der das berühmte »Coppelia«-Eis aus Havanna in Jatibonico verkaufte. Meine Oma liebte Vanille und Schokolade, meine Mama Nuss und Schokolade und ich Erdbeere und Schokolade. An so einem Sonntagnachmittag habe ich während des Films locker zehn oder zwölf Portionen Eis verputzt. Ich kann heute noch bei einem schönen Film einen ganzen Becher »Strawberry Cheesecake« aufessen. Aber das mache ich natürlich nicht jeden Tag.
    Sobald die Heldin des Films in Gefahr geriet oder irgendwas Schlimmes geschah, rief meine Mutter: »Ay, pass auf!!!« oder »Nein, glaub ihm das nicht!!!« Wurde die Spannung unerträglich, brach sie schon mal in Tränen aus, denn Mama war eine sehr emotionale Chica. Meine Oma hingegen kommentierte immer nur, was gleich passieren würde. Und wenn die Heldin etwas besonders toll machte oder das Gute am Ende siegte, dann applaudierten wir alle begeistert.
    Ganz besonders liebten Oma, Mama und ich die Filme von Sara oder, wie wir in Kuba sagen, Sarita Montiel. Einer spanischen Schauspielerin und Sängerin, die in den Fünfzigern, Sechzigern eine richtige Diva und nicht nur in den spanischsprachigen Ländern, sondern auch in den USA ein Star war. In einem unserer Lieblingsfilme: Mi último Tango (»Mein letzter Tango«), spielt sie ein junges Dienstmädchen namens Marta, das auf einer Reise mit einer großen Sängerin verwechselt wird und so aus Versehen in Buenos Aires zum Star aufsteigt. Ich mochte diese Cinderellageschichte deshalb so sehr, weil Marta es schaffte, ihren Traum zu verwirklichen. Spätestens bei der Szene, in der sie als Mann verkleidet – in Hosen und Jackett, den Hut frech in die Stirn gezogen und einen Zigarillo zwischen den Fingern – mit verwegenem Blick die Filmbühne betritt, bekamen Mama und ich glasige Augen. Und die Tränen flossen, sobald Sarita mit rauchiger Stimme sang: » Aunque te quiebre la vida, aunque te muerda un dolor, no esperes nunca una ayuda, ni una mano, ni un favor.« Selbst wenn das Leben dich zerbricht oder ein Schmerz dich zerreißt, erwarte dir keine helfende Hand und auch keine Gunst. Natürlich ging der Film gut aus, so wie meine Oma es vorhergesagt hatte. Deshalb applaudierten wir erleichtert, als Sarita ihre große Liebe endlich küsste.
    Die alten Filmklassiker, die wir damals anschauten, waren für die Entfaltung meiner Kreativität ebenso stilprägend wie meine Oma mit ihrer Eleganz und ihrer Haltung. Aus nichts etwas zu machen, lautete ihr Motto damals. »Guter Stil ist keine Frage des Alters und hängt auch nicht davon ab, wie schön du bist«, sagte sie immer. »Egal, ob klein, groß, dick, dünn, hell oder dunkel – du kannst immer elegant sein.«
    Kleider machen Leute, heißt es. Aber ich glaube das nicht – das ist etwas ganz Wichtiges, das ich von meiner Oma gelernt habe. Denn obwohl die Menschen im Kuba der damaligen Zeit fast nichts hatten, waren meine Chicas immer sorgsam zurechtgemacht und elegant. Meine Oma kleidete sich zwar nicht nach dem neuesten Schrei, aber wenn sie in High Heels, weißer Bluse und mit roten Lippen im Wohnzimmer auf dem Sofa saß, verkörperte sie Eleganz und Haltung. So blieb sie bis ins hohe Alter. Als sie nicht mehr so gut in den High Heels laufen konnte, versteckte sie ihre besten Freunde unter dem Schaukelstuhl, in dem sie saß. Kam überraschend jemand zu Besuch, zog sie schnell die Hausschuhe aus, steckte sie unters Kissen und schlüpfte – zack – in die High Heels.
    Von meiner Oma
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