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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
Autoren: Jorge González
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Familie begann der Tag mit einem Tanz. Sobald der Wecker um sechs Uhr morgens klingelte, stellte meine Mutter das Radio an. Jeden Morgen. Danach weckte sie meine Geschwister und mich. Während sie das Frühstück für die Familie zubereitete, summte sie leise zur Musik.
    Ich wurde erst richtig wach, wenn das Aroma des starken kubanischen Kaffees unser Haus erfüllte. Meist blieb ich noch eine Weile im Bett und beobachtete durch die offene Tür meines Zimmers, was in der Küche vor sich ging: Während meine Mutter am Herd hantierte, bewegte sie ganz sanft ihre Hüften zur Musik aus dem Radio. Ein Bolero, der Lieblingstanz meines Vaters, denn dabei konnte er ganz langsam und eng mit seiner Frau tanzen. Er kam sofort in die Küche, umarmte meine Mutter von hinten und drückte ihr einen Kuss auf die Wange. »Ach, lass mich in Ruhe«, rief Mama lachend und fing dann doch an, mit ihm zu tanzen. Um sechs Uhr morgens.
    Bei uns zu Hause wurde immer viel gelacht und gescherzt. Denn die Mentalität der Kubaner ist lebendig, warm, laut und voller Humor. Auch heute noch gibt es für mich nichts Schöneres als Menschen, die glücklich sind und lachen.
    Meine Mutter, eine wunderschöne, liebevolle, hilfsbereite, geduldige und diplomatische Frau, hatte ein extra großes Herz und sah in jedem Menschen nur das Gute. Verwandte, Freunde, Nachbarn, alle liebten meine Mutter. Mein Vater war eine Respektsperson und ein Gentleman, vor allem meiner Mutter gegenüber. Sie war für ihn seine Blume, die tollste Chica überhaupt. Auf den Fotos, die meine Mutter als junges Mädchen zeigen, trägt sie meistens einen Bleistiftrock und Stöckelschuhe im Stil der Fünfzigerjahre, eine langärmelige weiße Bluse mit zarten Biesen, eine Hochsteckfrisur und eine Orchidee im Haar.
    Sie war Floristin und liebte Blumen sehr. Mit ihren geschickten Händen konnte sie auch wunderschöne filigrane Blumengestecke aus Papier zaubern. Als Kinder waren meine Geschwister und ich verrückt nach ihren fantasievoll verpackten Geschenken und den schönen Kleidungsstücken, die sie uns nähte. Mein Vater, ein großer, starker Mann, war Lkw-Fahrer und transportierte mit seinem Laster das Zuckerrohr von der Plantage in die Zuckerfabrik von Jatibonico. Frühmorgens ging er zur Arbeit und kehrte erst spätabends zurück. Aber er kam fast jeden Mittag zum Essen nach Hause.
    Zu Hause, das war ein kleine Stadt in Mittelkuba namens Jatibonico (sprich: »Hatiboniko«), die mir immer wie ein Dorf vorkam, weil jeder jeden kannte. Geboren wurde ich 1967 in Cabaiguán (sprich: »Kaweigwan«), aber aufgewachsen bin ich in Jatibonico, wo sich der ingenio azucarero, eine der erfolgreichsten Zuckerfabriken Kubas, befindet. Wenn man von Havanna kommt und über die Stahlbrücke am Ortseingang fährt, sieht man auch heute noch als Erstes die zwei großen Türme dieser Fabrik. Die carretera central , die Landstraße, führt direkt durch Jatibonico. Links und rechts davon reihen sich Wohnhäuser aneinander, und auf den Gehwegen stehen große Flammenbäume, an deren Ästen kleine grüne Blättchen und leuchtend rote Blüten hängen. Sie spendeten uns Kindern beim Spielen auf der Straße Schatten.
    Meine Eltern, meine neun Jahre ältere Schwester Olga und mein fünf Jahre älterer Bruder Luis Miguel und ich wohnten ein Stück von der Hauptstraße entfernt in einem einfachen Holzhaus mit einem Ziegeldach. Drinnen gab es eine Küche, ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und zwei Kinderzimmer, eins für meinen Bruder und mich und eins für meine Schwester. Das Badezimmer befand sich außerhalb in einem extra Häuschen. Um das Haus lief eine Veranda, von der aus man in den wunderschönen kleinen Blumengarten meiner Mutter gelangte, in dem Rosen, Mariposas, Orchideen, Oleander und Amaryllis wuchsen. Mariposas, auch Schmetterlingsjasmin genannt, und Orchideen waren Mamas Lieblingsblumen, die sie sich immer ins Haar steckte.
    Direkt hinter dem Haus befand sich eine kleine Plantage mit vielen Bananenpalmen und ein paar Mango- und Papayabäumen. Vom Fenster meines Zimmers aus konnte ich eine Banane pflücken oder die kleinen Papageien füttern, die dort herumflatterten. Wenn ich etwas Leckeres für sie hatte, setzten sie sich sogar auf den Fenstersims. Dieses Leben mitten in der Natur war traumhaft schön – überall wuchsen exotische Früchte, duftende Blumen und palmas reales, die kubanischen Königspalmen. Heute würde ich sagen, dass wir ökologisch lebten, denn der Garten und die kleine Plantage
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