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Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)

Titel: Hola Chicas!: Auf dem Laufsteg meines Lebens (German Edition)
Autoren: Jorge González
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waren unser Supermarkt. Wir hielten Hühner, Enten und sogar Brieftauben, um die sich mein Bruder kümmerte .
    Unser Familienleben war sehr harmonisch, und es bestand ein starker Zusammenhalt nicht nur zwischen uns Kindern und den Eltern, sondern auch innerhalb der ganzen Verwandtschaft. Wir waren eine richtige Großfamilie: Mein Vater hatte vierzehn und meine Mutter zehn Geschwister. Das bedeutet, dass ich vierundzwanzig Tanten und Onkel und fast einhundert Cousins und Cousinen habe. Jeden Sonntag traf man sich zum Mittagessen im Haus meiner Großmutter, denn mein Großvater saß im Rollstuhl. Manchmal kamen dreißig, vierzig Verwandte zusammen. Die Frauen standen in der Küche, kochten, plauderten und sangen, während die Männer im Schatten auf der Veranda saßen und Domino spielten.
    Am Nachmittag gingen die Chicas dann zu uns nach Hause – wir wohnten nicht weit entfernt von meinen Großeltern –, um einen alten spanischen Film oder einen Hollywoodstreifen im Fernsehen anzuschauen. Die Männer hielten in der Zwischenzeit Siesta oder spielten wieder Domino. Am späten Nachmittag trafen sich dann alle zu einem Spaziergang im Park. Jeden Sonntag durfte ein anderes Enkelkind den Rollstuhl unseres Großvaters schieben. Das war immer der größte Spaß, denn unser Opa erzählte dabei spannende Geschichten: wie das Dorf früher aussah, was in der Zuckerfabrik alles passierte und wie die Menschen damals lebten. Schließlich gab es noch Abendessen mit der ganzen Familie, und danach wurde, bis alle nach Hause gingen, Domino gespielt und getanzt.
    Auch bei meinen Großeltern lief den ganzen Tag das Radio. Während die Frauen in der Küche beim Kochen Musik hörten, kam immer wieder mal mein Vater rein, schnappte sich meine Mutter, um mit ihr zwischen den dampfenden Töpfen ein paar Runden Bolero zu drehen. Meine Mutter sagte dann meistens zu ihm: »Komm, Gude« – die Kurzform von Gudelio –, »wir tanzen jetzt einen ladrillito .« Bei diesem Tanz durfte das Paar die Fliese, auf der es stand, nicht verlassen. Man konnte das sinnliche Knistern zwischen meinen Eltern in der ganzen Küche spüren: Diese zwei Menschen, die da eng umschlungen auf der Stelle tanzten, waren nur noch eine Bewegung, eine Drehung, ein Hüftschwung.
    Währenddessen machten meine Tanten und Onkel so ihre Späße. Hatte etwa eine Tante zu viel Salz in die salsa getan, kommentierte eine andere das sofort: »Sag mal, mi corazón , mein Schatz, die Soße ist ja total versalzen. Bist du in deinem Alter etwa noch verliebt?«
    Ein Onkel, der Ehemann der Tante, die zu viel Salz verwendet hatte, setzte dann noch einen drauf: »Natürlich ist sie verliebt. Schau doch mal, was für eine Schönheit ich bin.« Während er das sagte, hatte er nur Augen für ihren großen Popo.
    Diese sinnliche, lockere Lebensart und all die Scherze zwischen Mann und Frau bekamen wir Kinder von klein auf mit. Sexualität und Erotik waren für uns etwas Normales. Mit dieser Mentalität, der Lust am Flirten, der liebevollen Sinnlichkeit und diesem Humor bin ich aufgewachsen. Als ich vier war, hatte ich meine erste Erektion, mitten im Wohnzimmer und vor den Augen der ganzen Familie – vor meinen Eltern, Großeltern, Geschwistern, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen. Natürlich wusste ich damals nicht, was das war. Ich zog einfach meine Hose runter, schaute zu meiner Mutter und sagte: »Mama, Pipi.« Ich habe nicht kapiert, was da grade passierte und dass ich gar nicht aufs Klo musste. Aber wie soll man das einem kleinen Kind erklären? Meine Eltern und Verwandten blieben ganz locker, lachten und bewunderten den kleinen Jorge, wie er da unten ohne stand.
    In dieser positiven und vertrauensvollen Atmosphäre meiner Familie fühlte ich mich geborgen und behütet. Mein Elternhaus war erfüllt von Liebe – und diese Liebe, das Lachen und das Tanzen haben mir Halt gegeben und mich für mein ganzes Leben geprägt.
    Tanzen ist ganz wichtig in Kuba. Die Kinder bekommen den Rhythmus schon im Bauch der Mutter mit. Als Kubaner tanzt man ständig. Die Musik, der Rhythmus, die Bewegung, das alles liegt einem einfach im Blut. Ich wollte immer auf die Bühne, um zu tanzen, und habe schon als Zweijähriger zusammen mit meiner Familie auf dem Karneval die Hüften geschwungen.
    Karneval in Kuba, das ist wie eine Miniausgabe vom berühmten Karneval in Rio: temperamentvoll, sexy, farbenfroh, schillernd und laut. Die comparsa , die Karnevalstruppe, zieht singend, tanzend und trommelnd durch die
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