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Hohle Köpfe

Hohle Köpfe

Titel: Hohle Köpfe
Autoren: Terry Pratchett
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ihn
    (überaus leckere Mahlzeiten, mit dem Ergebnis, daß er zunahm). Man
    putzte ihm sogar die Stiefel (und was für Stiefel! – ihre Sohlen bestanden nicht etwa aus Pappe, sondern aus echtem, dickem Leder, so wie der
    Rest). Immer wol te man al es für ihn erledigen, doch es gab Dinge, um
    die sich ein Mann selbst kümmern mußte. Und dazu gehörte das Rasie-
    ren.
    Mumm wußte, daß Lady Sybil dieser Sache ablehnend gegenüberstand.
    Ihr Vater hatte sich nie selbst rasiert, hatte diese Aufgabe einem Diener
    überlassen. Mumm wandte ein, daß er viele Jahre lang in den nächtlichen
    Straßen von Ankh-Morpork unterwegs gewesen war und deshalb unru-
    hig wurde bei der Vorstellung, daß ihm jemand eine Klinge an den Hals
    hielt. Aber der wahre Grund, der unausgesprochene Grund, war dieser: Er verabscheute eine Aufteilung der Welt in Leute, die sich selbst rasier-ten, und Leute, die sich rasieren ließen. In Leute, die glänzende Stiefel
    trugen, und Leute, die den Schmutz von ihnen abkratzen mußten. Wenn
    er sah, wie Willikins seine Sachen zusammenlegte, fühlte er sich versucht, ihm einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu geben – weil sein Verhalten die Würde des Menschen in Frage stellte.
    Das Rasiermesser glitt ruhig über die Stoppeln der Nacht.
    Am vergangenen Abend hatte ein offiziel es Essen stattgefunden. An
    den Anlaß entsann sich Mumm nicht mehr. Inzwischen schien er sein
    ganzes Leben mit solchen Dingen zu verbringen. Kokette, kichernde
    junge Frauen und wiehernde Burschen, die ganz hinten gestanden hat-
    ten, als Kinn und Rückgrat verteilt worden waren. Als Mumm anschlie-
    ßend durch die neblige Stadt zurückkehrte, brodelte wie üblich schlechte
    Laune in ihm.
    Unter der Küchentür bemerkte er Licht, hörte lachende Stimmen und
    trat ein. Wil ikins saß am Tisch, zusammen mit dem Alten, der sich um
    den Heizkessel kümmerte, dem Chefgärtner und dem Jungen, der die
    Löffel reinigte und das Feuer schürte. Sie spielten Karten. Bierflaschen
    standen auf dem Tisch.
    Mumm zog sich einen Stuhl heran, riß einige Witze und fragte, ob er
    mitspielen dürfte. Willikins und seine Freunde hießen ihn willkommen.
    Das heißt, sie wiesen seine Bitte nicht zurück. Doch während des Spiels
    spürte Mumm, wie sich das Universum um ihn herum kristallisierte. Er
    schien sich in ein Zahnrad zu verwandeln, das in einer gläsernen Uhr
    steckte. Niemand lachte. Willikins und die anderen nannten ihn »Herr«
    oder gar »Sir«. Sie alle waren sehr… vorsichtig.
    Schließlich murmelte Mumm eine Entschuldigung und ging. Auf hal-
    bem Weg durch den Flur hörte er eine leise Bemerkung, gefolgt von…
    vielleicht einem ganz normalen leisen Lachen. Aber es hätte auch ein
    spöttisches Kichern sein können.
    Das Rasiermesser umfuhr geschickt die Nase.
    Ha! Vor einigen Jahren hätte jemand wie Wil ikins ihn nur sehr wider-
    strebend die Küche betreten lassen. Unter der Bedingung, daß er vorher
    die Stiefel auszog.
    Das ist aus dir geworden, Kommandeur Sir Samuel Mumm. Für die besseren Leute bist du ein Emporkömmling, alle anderen halten dich für einen feinen Pinkel.
    Er betrachtete sein Spiegelbild, erneut bildeten sich Falten auf seiner
    Stirn.
    Er kam aus der Gosse, zugegeben. Und jetzt bekam er drei warme
    Mahlzeiten pro Tag, hatte außerdem gute Stiefel, des Nachts ein warmes
    Bett und sogar eine Ehefrau. Die gute alte Sybil… Seit einiger Zeit
    sprach sie auffallend oft von Gardinen, aber Feldwebel Colon meinte,
    das passiere häufig mit Ehefrauen; es sei eine biologische Angelegenheit
    und daher völlig normal.
    Eigentlich hatte Mumm seine alten, billigen Stiefel gemocht. Die Soh-
    len waren so dünn, daß er deutlich die Straße fühlte. Selbst in stockfin-
    sterer Nacht hatte er stets seinen genauen Aufenthaltsort feststellen kön-
    nen – indem er mit den Zehen das Kopfsteinpflaster betastete. Ach, die
    gute alte Zeit…
    Mumms Rasierspiegel war ein wenig ungewöhnlich. Durch die konvexe
    Form zeigte er mehr vom Zimmer als ein normaler Spiegel. Er gewährte
    einen guten Blick durchs Fenster, auf die Nebengebäude und Parkanla-
    gen.
    Hmm. Oben lichtete es sich immer mehr. Ja, der Haaransatz wich ein-
    deutig zurück. Weniger zu kämmen, andererseits mehr Gesicht zu wa-
    schen…
    Im Spiegel bewegte sich etwas.
    Mumm neigte den Kopf zur Zeit und duckte sich.
    Glas splitterte.
    Jenseits der zerbrochenen Fensterscheibe entfernten sich eilige Schrit-
    te. Kurz darauf krachte es, und ein Schrei erklang.
    Mumm
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