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Hoher Einsatz (German Edition)

Hoher Einsatz (German Edition)

Titel: Hoher Einsatz (German Edition)
Autoren: Saskia Berwein
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dem Tisch hängenblieb. Dann legte sie ohne Kommentar einen kleinen, schwarzen Apparat auf den Tisch. Ein Aufnahmegerät. »Sie haben das Krankenhaus bereits heute Nacht verlassen«, stellte Jennifer Leitner freundlich fest. »Wir waren überrascht, Sie heute Morgen nicht mehr dort anzutreffen.«
    »Ich wollte nicht dortbleiben. Es war … nicht nötig. Die Ärzte hätten mich gerne ein, zwei Tage dabehalten, aber …«
    »Hier zu Hause fühlen Sie sich wohler.«
    Julia nickte.
    »Sie wissen, warum wir hier sind, Frau Ahrens. Wir würden gerne Ihre Aussage aufnehmen.« Als Julia nicht reagierte, fügte sie hinzu: »Wir müssen darüber sprechen, wie Sie ins Krankenhaus gekommen sind … und warum.«
    »Das wissen Sie doch längst.«
    »Ja. Aber leider müssen wir mit Ihnen zusammen noch einmal alles durchgehen … Es gibt noch viele offene Fragen.«
    Julia schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht über das sprechen, was ihr gestern Nacht passiert war. Mit niemandem. Niemals. »Ich will nichts sagen … Ich will keine Anzeige.«
    »Wir verfolgen diese Straftat von Amts wegen. Es tut uns leid, dass wir Sie mit diesen Fragen belästigen müssen, aber …«
    »Ich will nicht!« Julia war überrascht, dass sie fähig war, ihre Stimme zu erheben. »Ich will nicht, will nicht, will nicht!«
    Doch Jennifer Leitner akzeptierte ihre Weigerung nicht, überging sie, als habe sie sie gar nicht ausgesprochen. Mit ruhiger Stimme fuhr sie fort: »Die Polizei hat gestern Abend einen Anruf von einem Autofahrer erhalten, der eine Frau meldete, die auf der Straße herumlief und hilfsbedürftig wirkte. Sie wurden in der Zimmerstraße aufgegriffen. Wir gehen davon aus, dass Sie versucht haben, nach Hause zu laufen, ist das richtig?«
    In Julia baute sich eine Barriere auf. Sie wollte nicht antworten, wollte nichts sagen. Selbst für ein Nicken brachte sie kaum die Kraft auf.
    »Die Beamten bemerkten Ihre zerrissene Kleidung und riefen einen Krankenwagen. Beim Eintreffen der Sanitäter sind Sie sehr ungehalten geworden … verständlicherweise. Ihr Verhalten führte leider dazu, dass man Ihnen starke Beruhigungsmittel verabreicht hat.«
    Jennifer Leitner beobachtete Julia genau. »Im Krankenhaus wurden Sie untersucht. Die Ärzte haben Verletzungen festgestellt, die keinen Zweifel daran lassen, dass Sie überfallen wurden. Sie wissen, was mit Ihnen passiert ist?«
    Wieder konnte sie sich nur zu einem Nicken durchringen.
    »Sie wissen, dass Sie angegriffen und vergewaltigt worden sind?«
    Julia biss sich auf die Unterlippe. Ein Schauer durchfuhr sie. »Ja.«
    »Können Sie mir sagen, wo man Sie angegriffen hat?«, fragte Jennifer Leitner.
    »Auf dem Weg von der Tanke zur Bushaltestelle … In der Gasse … Ich hätte gar nicht dort sein dürfen … In … in dieser Gasse.«
    »Welche Tankstelle meinen Sie?«
    »Die an der Bundesstraße, am Industriepark. Ich arbeite dort.«
    Jennifer Leitner wusste offenbar, welche sie meinte, denn sie schrieb etwas auf den Block, den sie mitgebracht hatte. Die Beamtin zögerte, bevor sie fragte: »Kannten Sie Ihren Angreifer?«
    Julia schüttelte sofort den Kopf.
    »Haben Sie ihn gesehen?«
    Sekunden vergingen, bevor sie zögerlich nickte.
    »Können Sie ihn beschreiben?«
    Julia zog die Decke enger um ihre Schultern. »Ich weiß nicht …«
    »Frau Ahrens, mir ist bewusst, wie schwer Ihnen das fällt. Versuchen Sie bitte, sich zu erinnern.«
    Das sagte sich leicht. Julia hatte den Kerl gesehen. Sie hatte ihm direkt ins Gesicht geblickt. Sie wusste, dass sie sich erinnern könnte, wenn sie es nur zuließ. Doch dann würden auch die anderen Erinnerungen wieder in ihr Bewusstsein schwemmen. Und das durfte nicht passieren.
    »Frau Ahrens?«
    Sie spürte, dass sie schon wieder zitterte. Tränen quollen aus ihren Augen hervor und liefen ihr über die Wangen. Sie konnte nicht, sie wollte nicht …
    Aber sie musste … Wenn sie diesen Schritt nicht wagte, würde das Monster davonkommen. Vielleicht noch andere Frauen überfallen. Es würde ihre Schuld sein … So wie es ihre Schuld war, dass es überhaupt dazu gekommen war … Wenn sie nicht die Abkürzung genommen hätte …
    Julia schüttelte den Kopf. Sie wollte so nicht denken, durfte so nicht denken. Diese Gedanken machten ein Opfer aus ihr, ein verletzliches, bemitleidenswertes Opfer. Sie wollte kein Opfer sein.
    »Er war groß«, stieß sie schließlich hervor. »Bestimmt eins neunzig. Schlank, aber breit … muskulös … Er war stark, so stark …« Ihre
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