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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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Ohnmacht, weil die Polizisten ihn dann vielleicht noch einmal zu ihr gelassen hätten, und sei es nur für ein paar Minuten.
    Natürlich war sie nicht gestorben, hatte nicht mal das Bewusstsein verloren. Und er hatte sich bei der Tür noch einmal zu ihr umgedreht und quer durch den Saal gerufen: «Ich bin bald wieder bei dir, Püppi. Sei tapfer, du schaffst das, ich verlass mich darauf. Lern schön, damit dir die Zeit nicht lang wird. Eines Tages zahlt sich das aus, wenn man einen Beruf richtig gut gelernt hat. Du wirst sehen.»
    Und dabei hatte er sie angeschaut mit diesem Blick, der sie immer zu einem Klecks Vanilleeis in der Sonne machte. Eine Kusshand hatte er ihr zugeworfen, daran erinnerte sie sich noch genau. Eine Kusshand und ein wehmütig sehnsüchtiges Lächeln.
    Im August vor sieben Jahren.
    Ehe ein Gerichtsdiener die Tür hinter ihm und den beiden Polizisten schloss.
    Und jetzt stand er hier vor der Tür.

    Er grinste. Es war tatsächlich ein Grinsen, kein wehmütiges oder sehnsüchtiges Lächeln wie damals, nicht einmal ein spöttisches oder amüsiertes, weil sie die Haustür geöffnet und sich reflexartig zum Fußabtreter gebückt hatte, als wolle sie sich verneigen. Aber vielleicht überspielte er mit dem Grinsen nur seine Unsicherheit, weil er nicht wusste, wie sie auf sein Erscheinen reagieren würde.
    Sein Gesicht schien ihr beim längeren Hinsehen doch etwas schmaler geworden zu sein, aber rund war es auch damals nicht gewesen. Ein längliches, immer leicht melancholisch wirkendes Gesicht mit einer geraden Nase, grauen Augen und einem normal geschnittenen Mund. Genau genommen ein Dutzendgesicht, aber durchaus attraktiv. Und vielleicht lag es nur an dem schwarzen Hemd, dass er ihr ziemlich blass vorkam. Aber blasser als damals war er wohl tatsächlich, weil er die letzten sieben Jahre in einer Gefängniszelle verbracht hatte.
    «Ich bin bald wieder bei dir, Püppi!»
    Bald? Von wegen! Sieben Jahre! Damals hatte das für sie nach Ewigkeit geklungen.
    In den ersten Monaten nach der Urteilsverkündung hatte sie gedacht, es gäbe nur eine Möglichkeit, bald wieder bei ihm zu sein: Sterben. Weil der Tod alles wieder verband und auf ewig miteinander verschweißte, was zusammengehörte und auseinandergerissen worden war. Das zumindest hatte er einmal behauptet. Und zweimal hatte sie versucht, ihrem ohne ihn scheinbar so sinnlosen Leben ein Ende zu setzen. Es war lange her. Von der Todessehnsucht hatte Ed sie geheilt.
    «Hallo, Püppi», sagte er. Sein Grinsen ging in ein schelmisches und erleichtert wirkendes Lächeln über. «Ich hatte schon Angst, dass mir ’ne Putzfrau aufmacht, als ich die Bude hier sah. Was hätte ich der sagen sollen, hm?»
    Er machte eine Bewegung mit der linken Hand, die alles einschloss, Freude und Enttäuschung, Sorgen und bange Fragen. Dann sprach er weiter. «Warst nicht leicht zu finden. Neuer Name, neue Adresse, damit hatte ich nicht gerechnet. Bist verheiratet, was? Na ja, sieben Jahre sind ’ne verdammt lange Zeit für so ein junges Ding, wie du damals warst. – Bist du allein?»
    Sie wollte nicken, aber sie konnte sich nicht bewegen, nicht mal mit einem Finger zucken. Wie paralysiert stand sie da und wunderte sich ein wenig, dass sie überhaupt noch aufrecht stand. Ihre Kniegelenke schienen sich in schwammartige Gebilde verwandelt zu haben, die jede Sekunde unter dem Gewicht des Körpers nachgeben konnten.
    Sie betrachtete ihn wie das Kaninchen die Schlange oder Julia ihren Romeo – mit dem unvermittelt aufkommenden Herzflattern und einem Wärmegefühl im Magen. Und es gab keinen Unterschied zwischen dem Kaninchen und Julia. Beide fühlten sie in solch einem Moment etwas Schweres, Süßes, Bitteres, etwas, das niemand genau definieren konnte, von dem trotzdem jeder wusste, dass es endgültig war.
    Er schien von dem Aufruhr in ihrem Innern nichts zu bemerken, schaute mit unverhohlener Neugier über ihre Schulter direkt in den Spiegel an der gegenüberliegenden Wand.
    Es war ein kostbarer, alter Spiegel. Eddi hatte ihn vor einem Jahr in einem Antiquitätengeschäft gesehen und sich – wie er sagte – augenblicklich in ihn verliebt. Also hatte Eddi den Spiegel auch augenblicklich gekauft, zusammen mit dem kleinen Wandbord, das dazugehörte und auf dem die Basisstation des Telefons mitsamt dem Mobilteil stand.
    Es waren bloß zehn Schritte bis dahin. Es hätten ebenso gut tausend sein können. Sie konnte keinen einzigen tun, konnte nur den Mann anstarren, von dem Ed
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