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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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überschüttete er sie mit Vorwürfen und verbot ihr jeden weiteren Umgang. Ein Fünfundzwanzigjähriger! Er meinte, Heiko sei mit einer der jungen Mütter aus der WG liiert gewesen und hätte schon ein uneheliches Kind. Was hätte er denn sonst letzten Samstag in der Wohnung zu suchen gehabt?
    Bei so einem könne man sich an zwei Fingern ausrechnen, wann er zur Sache käme, meinte ihr Vater und holte sie in den folgenden Wochen nun selbst jeden Abend bei Retlings ab. Er war überzeugt, dass Heiko die Vergeblichkeit seiner Bemühungen bald einsehen und sich eine andere suchen würde.
    Ein Irrtum, wie sich bald zeigte. Heiko Schramm hatte Witterung aufgenommen, war wie ein Bluthund nicht mehr von ihrer Fährte gewichen und hatte sich auch von den Rambo-Methoden ihres Vaters nicht einschüchtern lassen. So hatte Ed das einmal ausgedrückt.

    Pünktlich um zehn, eine halbe Stunde bevor seine Frau unvermittelt zurück in ihre Vergangenheit katapultiert wurde, hatte Doktor Edmund Bracht seine zweite Patientin für den Freitag ins gemütlich mit zwei Polstersesseln und Beistelltischchen eingerichtete Behandlungszimmer geführt. Eine Couch gab es bei ihm nicht, nur einen Teppich, der wie eine Barriere zwischen den beiden Sesseln lag. Ein raumhohes Bücherregal an der Stirnwand, in dem hauptsächlich Fachliteratur stand, verlieh dem Raum das Flair einer kleinen Bibliothek oder eines Lesezimmers, was auf viele Patienten entspannend wirkte.
    Drei Termine reihten sich an diesem Vormittag aneinander. Fünfzig Minuten dauerte jede Sitzung, Begrüßung und Verabschiedung eingeschlossen. Dazwischen gönnte Edmund sich jeweils zehn Minuten Pause für einen Kaffee und ein paar Notizen. Während der Therapiestunden machte er nie welche, viele empfanden es als störend, wenn er etwas aufschrieb, während sie über ihre Nöte sprachen.
    In komplizierten Fällen ließ er ein Bandgerät mitlaufen. Zu Beginn einer Behandlung tat er das grundsätzlich. Das Gerät war unauffällig im Bücherregal installiert und ließ sich von seinem Sessel aus bedienen, ohne dass Patienten etwas davon bemerkten. Aber wenn er einen Menschen und seine Probleme erst besser kennengelernt hatte, reichten ihm ein paar Stichworte nach der Sitzung völlig aus.
    Die zweite Patientin an diesem Freitag hieß Anne Sobisch und frustrierte Edmund mehr, als er sich eingestehen mochte. Sie war Ende dreißig, kinderlos verheiratet und kam seit gut einem Jahr regelmäßig einmal in der Woche zu ihm.
    Anne Sobisch arbeitete in der Verwaltung eines Großkonzerns und hatte sich vor drei Jahren auf ein Verhältnis mit einem ebenfalls verheirateten Kollegen eingelassen, dessen Frau zu der Zeit zum zweiten Mal schwanger gewesen war.
    Diese Affäre stand in krassem Gegensatz zu Anne Sobischs moralinsaurer Erziehung und ihren Vorstellungen von Treue und Vertrauen in einer Ehe. Sie hatte ernsthafte gesundheitliche Probleme bekommen, einen hartnäckigen und sehr schmerzhaften Hautausschlag, Unterleibskrämpfe und andere Beschwerden, die ihren Hausarzt nach einer Odyssee durch verschiedene Facharztpraxen schließlich veranlasst hatten, ihr eine Psychotherapie nahezulegen.
    Die physischen Symptome waren inzwischen weitgehend abgeklungen. In den letzten Stunden mit ihr hatte Edmund geglaubt, Anne Sobisch sei auf dem besten Weg, ein paar wichtige Erkenntnisse über sich selbst zu gewinnen und ihrem Liebhaber bei der nächsten Annäherung ein entschiedenes und endgültiges Nein entgegenzuhalten. Nun bewies sie ihm das Gegenteil.
    «Ich war gestern wieder mit ihm zusammen, aber nur für zehn Minuten in der Toilette.» Eine Ortswahl, die sie als großes Risiko und gleichzeitig als große Demütigung empfunden haben musste. In die Toilette gehörten schließlich nur unaussprechliche Schweinereien.
    Ihre Finger nestelten am Rocksaum. In Hosen hatte Edmund sie noch nie gesehen. Ihr Gesicht blieb dem Teppich zugewandt. Anne Sobisch wartete auf die Verurteilung, zumindest auf eine Moralpredigt, wie ihre Eltern ihr jetzt wohl eine gehalten hätten. Aber das war nicht seine Aufgabe als Therapeut. Abgesehen davon hätte er sich eher diesen Schmarotzer vorgeknöpft, für den Anne Sobisch vermutlich nichts weiter als ein verklemmter und gerade deshalb amüsanter Zeitvertreib war. Ein Weibchen ohne Rückgrat und eigenen Willen, das nie gelernt hatte, sich zu widersetzen, bei dem sich auch ein Schwächling und Versager, der daheim springen musste, wenn die Gattin pfiff, als Heros und Eroberer fühlen
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