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Hörig (German Edition)

Hörig (German Edition)

Titel: Hörig (German Edition)
Autoren: Petra Hammesfahr
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wies ihr Vater weit von sich. «Ich war mit ihr bei mehreren Ärzten, auch bei einem Gynäkologen. Sie ist unversehrt und nicht mit Rauschgift in Berührung gekommen. Wir dachten zuerst auch, Schramm hätte sie unter Drogen gesetzt, weil sie solch einem Subjekt unter normalen Voraussetzungen niemals auf den Leim gegangen wäre. Aufgefallen war uns allerdings nichts. Und die Tests, die in den letzten Wochen mit ihr gemacht wurden, waren alle negativ.»
    «Nicht jede Droge ist endlos lange im Körper nachweisbar», sagte Edmund. «Bei manchen Substanzen gelingt der Nachweis schon nach einigen Stunden nicht mehr.»
    «Das ist mir bekannt», erwiderte Paul. «Ich weiß auch, dass es Pillen gibt, die einen jungen Menschen innerhalb kürzester Zeit in einen Zombie verwandeln. Und ich würde nicht ausschließen, dass dieses Scheusal ihr in letzter Sekunde so etwas zugesteckt hat. Aber die neurologische Untersuchung hat nichts dergleichen ergeben. Der Neurologe meinte, ihr Zustand sei nur eine krasse Form von Liebeskummer. Was ich davon halten soll, weiß ich nicht. Wenn man noch einen Funken Anstand im Leib hat, kann man so einen Kerl doch nicht lieben.»
    Eine aufschlussreiche Argumentation, fand Edmund. «Der Funken Anstand» bezog sich ja wohl auf Patrizia und bestärkte ihn in seiner ersten Vermutung
Missbrauch
. Es reizte ihn, das ließ sich nicht leugnen, obwohl etwas in ihm gleichzeitig mit beiden Händen abwinkte.
Lass die Finger davon, alter Junge.
    Ein Mädchen, das nicht sprach … Er war darauf angewiesen, dass seine Patienten den Mund aufmachten. Dass sie ihm ihre Nöte, Beschwerden, Probleme und Gefühle persönlich schilderten. Mit Spekulationen und nicht zwangsläufig zutreffenden Behauptungen der Familie war ihm nicht geholfen.
    Und wenn er Patrizia zum Reden und zurück auf den Weg ins Leben brachte … Es war ein brisantes Unterfangen, wobei das Risiko für sie entschieden größer war als für ihn. Sie hatte bereits zweimal versucht, sich das Leben zu nehmen. Unter Umständen, das erklärte er ihrem Vater auch, gelang es ihm, sie aus ihrer Lethargie zu reißen. Und möglicherweise versetzte er sie damit in die Lage, einen weiteren und diesmal erfolgreichen Selbstmordversuch zu unternehmen.
    Die psychiatrische Abteilung einer Klinik wäre nach Lage der Dinge die entschieden bessere Lösung gewesen. Nur wollte Paul seine Jüngste auf gar keinen Fall einweisen lassen. In psychiatrischen Abteilungen kannte er sich schließlich bestens aus.
    «Da hat sie keine Chance», meinte er. «Ich weiß, wie es da zugeht. Niemand hat wirklich Zeit, auf die Patienten einzugehen. Wer noch mitarbeiten kann, wird in eine Gruppentherapie gesteckt oder mit einem Malkurs beschäftigt. Die schweren Fälle werden mit Medikamenten ruhiggestellt, die man getrost gleichsetzen kann mit dem Zeug, das Schramm verkauft hat.»
    Ganz so war es nicht, was Paul wissen musste. Entweder wollte er seine Jüngste nicht mit dem Stempel «Klapsmühle» versehen, oder – diese Möglichkeit hielt Edmund für wahrscheinlicher – der besorgte Vater befürchtete, bei einem Klinikaufenthalt kämen Dinge ans Licht, die er nicht in einer Gruppe erörtern lassen wollte.
    «Schramm hat irgendetwas mit ihr gemacht», beharrte Paul. «Bis zum Prozess war sie noch normal, schockiert natürlich, weil ihr Freund verhaftet worden war, auch verstockt, weil wir ihr prophezeit hatten, dass es mit diesem Kerl ein böses Ende nehmen wird. Siebzehnjährige schätzen es nun mal nicht, wenn ihre Eltern recht behalten, nicht wahr?»
    Edmund signalisierte mit einem Nicken seine Zustimmung, er konnte sich das lebhaft vorstellen.
«Haben wir dir nicht die ganze Zeit gesagt …»
    «Aber man konnte mit ihr reden», fuhr Paul fort. «Sie nahm an den Mahlzeiten teil und versuchte dabei jedes Mal, mich umzustimmen.»
    «In welcher Hinsicht?», fragte Edmund.
    «Es waren drei Verhandlungstage angesetzt», erklärte Paul daraufhin. «Sie wollte unbedingt mit, aber das habe ich nicht zugelassen. Ich dachte, es sei besser, wenn man sie nicht noch einmal in die Nähe dieses Kerls lässt. Vielleicht war das ein Fehler. Was da alles zur Sprache kam, unfassbar … Und glauben Sie jetzt nicht, vonseiten der Staatsanwältin! Schramm hat das Maul aufgerissen und über Patrizia hergezogen, als wäre sie der letzte Dreck. Es wäre vermutlich besser gewesen, wenn sie das von ihm selbst gehört hätte, mir hat sie es nämlich nicht geglaubt. Zur Urteilsverkündung habe ich sie dann
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