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Höllenhund

Höllenhund

Titel: Höllenhund
Autoren: James Herbert
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Linien in den Augenwinkeln und an ihrem Halsansatz, wo früher keine Linien gewesen waren. Da war etwas Trauriges an ihr, aber es war eine wohlverborgene innere Traurigkeit, eine, die man eher fühlen als sehen könnte; für mich war offenkundig, weshalb es so war.
    Ich fragte mich, wie sie ohne mich alles geschafft hatte, wie Polly meinen Tod hingenommen hatte. Ich fragte mich, wie ich selbst die Aussage des Dachses hingenommen hatte, dass ich als Mann ganz sicherlich tot war. Der Raum hatte immer noch all die Behaglichkeit an sich, an die ich mich so gut erinnerte, aber die Atmosphäre des Hauses war jetzt ganz anders. Ein Teil seiner Persönlichkeit war verschwunden, und dieser Teil war ich. Atmosphäre ist etwas, das Menschen erzeugen, nicht Holz oder Ziegel oder irgendwelche Gegenstände — sie erzeugen nur eine Umgebung.
    Ich hatte mich nach Fotografien umgesehen, in der Hoffnung, mein eigenes Bild aus der Vergangenheit zu entdecken, aber zu meiner Überraschung war nirgends eines zu sehen. Ich zermarterte mir das Gehirn, um mich zu erinnern, ob es je gerahmte Fotos von mir gegeben hatte. Aber so, wie es gewöhnlich ist, wenn ich mich bewusst zu erinnern versuche, war mein Verstand plötzlich leer. Vielleicht waren sie für Carol und Polly eine zu schmerzliche Erinnerung gewesen, und man hatte sie irgendwo weggelegt, um sie erst dann wieder hervorzuholen, wenn beide damit fertig werden konnten.
    Ich hatte auch keine Ahnung, ob meine Kunststoffabrik verkauft worden war oder noch lief. Aber es beruhigte mich jedenfalls, dass meine Familie keine Not zu leiden schien. Das bestätigten verschiedene Haushaltsgegenstände: der Kühlschrank in der Küche, der neue Fernseher im Wohnzimmer und verschiedene Möbelstücke im ganzen Haus.
    Carol war immer noch so attraktiv wie eh und je, trotz der paar Falten; sie war nie das gewesen, was man eine Schönheit hätte nennen können, aber ihr Gesicht hatte etwas an sich, das diesen Anschein erweckte. Ihr Körper war immer noch wohlgeformt, aber zwei, drei Zentimeter davor, dick zu sein, so wie das immer der Fall gewesen war, ihre Beine lang und elegant geschwungen. Ironischerweise empfand ich zum ersten Mal als Hund, wie sich ein physisches Gefühl regte, wie ein Hunger geweckt wurde. Ich begehrte meine Frau, aber sie war eine Frau und ich ein Hund.
    Ich wandte meine Gedanken schnell wieder Polly zu. Wie sie doch gewachsen war! Sie hatte ihren Babyspeck abgelegt, war aber hübsch geblieben; ihre feine Haut und das dunkler gewordene Haar betonten ihr kleines Gesicht mit den zartgeschnittenen Zügen. Ich war überrascht und seltsam bewegt gewesen, wie sie vor ein paar Stunden eine braungeränderte Brille aufgesetzt hatte, um fernzusehen; irgendwie schien sie das noch verletzbarer zu machen. Ich war sehr mit ihr zufrieden; sie war zu einem sanftmütigen Kind herangewachsen, ohne die Schwerfälligkeit oder die Gereiztheit, die so viele Kinder ihres Alters an den Tag legen. Und dann war da eine ganz besondere Nähe zwischen ihr und ihrer Mutter, vielleicht eine Nähe, die aus dem gemeinsamen Verlust entstanden war.
    Wie ich schon vorher festgestellt hatte, schien sie sieben oder acht Jahre alt zu sein, und ich grübelte darüber nach, wie lange ich schon tot war.
    Draußen hatte der Himmel sich verdunkelt, als die Nacht sich hereingedrängt hatte, und es war auch kühler geworden. Carol knipste eines dieser langen, schmalen elektrischen Kaminhölzer an (auch etwas Neues, denn in der Vergangenheit hatten wir immer auf offenes Feuer Wert gelegt — Holz, Kohlen und Flammen —, aber vielleicht war die Romantik mit mir aus dem Haus gegangen) und machte es sich auf dem Sofa bequem. Plötzlich erhellten Scheinwerfer den Raum, und ich hörte, wie ein Wagen über die Kieszufahrt näher kam. Er hielt an, und der Motor summte weiter, während knarrend ein Tor geöffnet wurde. Carol drehte den Kopf herum und blickte zum Fenster, wandte dann ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu, schob sich mit ein paar Handbewegungen das Haar zurecht und glättete sich den Rock über den Schenkeln. Jetzt setzte sich der Wagen wieder in Bewegung, der grelle Lichtbalken schwang durch das Zimmer und verschwand dann. Der Motor verstummte, eine Wagentür knallte, dann schritt eine schattenhafte Gestalt am Fenster vorbei und klopfte dabei an die Scheibe.
    Mein Kopf ruckte in die Höhe; ich knurrte drohend und folgte dem Schatten, bis er verschwunden war.
    »Seht, Dusel! Sei ruhig.« Carol beugte sich vor
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