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Hoehepunkte der Antike

Titel: Hoehepunkte der Antike
Autoren: Kai Brodersen
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doch ebenso Lydisch oder ein regionalspezifisches Idiom, in Troia
     VII angesichts der möglichen Dardaner auch Illyrisch. Ganz offen ist die ethnische Zusammensetzung der Einwohner; unklar sind
     auch die Grenzen von Wilusa, ebenso das Ausmaß des hethitischen Einflusses. So versichert Muwatalli II. seinem (gehorsamen)
     Freund Alaksandu, Wilusa sei mindestens seit 1600 v. Chr. nie mit den Hethitern im Krieg gewesen. Leider behauptet aber Tuthalija
     I. (etwa 1420–1400 v. Chr.), auf den Muwatalli sich namentlich bezieht, er habe das „Land Wilusa“ und das „Land T(a)ruisa“
     besiegt – schlechte Aussichten für das behauptete Einvernehmen.
    Hat diese Geschichte mit der zu tun, die Homer erzählt? Die Namen, die außer Alaksandu aus der Herrscherliste von Wilusa bekannt
     sind, passen nicht zur Dynastie, wie sie die Troia-Sage überliefert. Nur auf den ersten Blick ist das „Land T(a)ruisa“ eine
     Hilfe – wir müssten in der weiteren Umgebung „unseres“ Troia eine zweite Stadt suchen, die bis mindestens 1400 v. Chr. bestand.
     Aber welche von beiden wäre „Ilios“, welche „Troia“? Und selbst wenn es einen historischen griechischen Angriff gab – wo hätten
     sie angegriffen und wann? Wäre schließlich ein von Stadt 1 auf Stadt 2 übertragener Vorfall noch genug „historischer Kern“?
     Die eifrigsten Sucher, die regelmäßig nicht einen beliebigen, bis zur Unkenntlichkeit verformten Konflikt, sondern im Wesentlichen
     den Troianischen Krieg selber wieder finden wollen, haben es schwer … und machen es sich leicht. Skepsis liegt als Ort zwar
     stromaufwärts von Ilion, nämlich am Skamander, aber geht wohl nicht so bereitwillig ins Flusswasser über, dass auch alle Troia-Forscher
     das wertvolle Spurenelement in sich aufnähmen.
     
     
    |23| Der Wunsch nach Wahrheit
     
    Die Suche nach den Spuren realer Vorgänge in der
Ilias
wird weitergehen. Sie ist ein undankbarer Prozess, eine frustrierende Reihe notwendiger Subtraktionen – mit den Göttern angefangen.
     Wer Einzelheiten als echte Erinnerungen retten will, steht die meiste Zeit über in der Defensive. Er mutet Homers Vorgängern
     auch übermäßig viel zu. Sie waren auf Variationen geradezu angewiesen, um ihr Publikum unterhalten zu können, und ergänzten
     Figuren, die Komplimente an ihre jeweiligen Gönner waren. Homer selbst war nur der Letzte, der in großem Stil verwandelte.
     Dass vor ihm über fünf Jahrhunderte seit der mykenischen Zeit irgend etwas im Zusammenhang blieb, ist völlig unwahrscheinlich.
     Die Sänger gaben einen Mythos wieder, wie sie ihn im Licht der eigenen Zeit verstanden, nicht wie man ein heiliges Buch rezitiert;
     das Göttliche war im Geist des Sängers, nicht im Wortlaut, und dass der Gott aus ihm sprach, verbürgte die Wahrheit.
    Fortsetzen wird sich auch, was als moderner Troia-Mythos bezeichnet wird. Die Schichten des unsichtbaren Troia wachsen schnell
     und verdienen eine eigene Archäologie; „Troia (Westtürkei)“, das Unterpfand des türkischen Anspruchs auf ein europäisches
     Erbe, ist in der Geschichte von Macht und Geist nur einstweilen die jüngste. Die Begeisterung wird neue Formen, kühlere Geister
     werden neue Zwecke für die Begeisterung finden.
    Die kritische Moderne hat ihre rührenden Punkte. Besessen sucht sie nach Entsprechungen zu dem, was uns ein Dichter zeigt.
     Sollte so etwas Überwirkliches nicht doch zuletzt Wurzeln im Wirklichen haben? Der beste Vorsatz zur Quellenkritik versagt
     vor diesem Gefühl der Wahrheit, der Suche nach einem verborgenen Tor in eine größere, glänzendere Welt. So denkt sich der
     13-jährige, eigentlich ungeheuer desillusionierte Fantasy-Leser auf einem verhassten Sonntagsspaziergang, wenn er nur ein
     wenig hinter den anderen um jene Wegbiegung ginge, könnte er wider alle Hoffnung die Elben sehen. Aber man lässt ihn nicht
     allein.
    Um Troia ist noch mehr am Werk als Wunschträume. Im Gedicht nur scheinen unnennbares Leid – beinahe Homers erste Worte – und
     fruchtlose, von keiner Einsicht zu vertreibende Unversöhnlichkeit ihren Schrecken zu verlieren. Hinter der Ästhetik des Untergangs
     eröffnet sich |24| eine Hoffnung – hier wird sich der Untergang nie vollenden, denn die Verse halten ihn für immer auf. Ein Bild, in dem das
     Schwert im Schwung erstarrt ist, scheint kein Bild des Tötens mehr, denn der Tod ist nur in der Zeit; der Leser selbst wird,
     indem er liest und wieder liest, zum Hüter des Waffenstillstandes.
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