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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Unterschied zum deutschen – Realität hervorbringt, auch wenn er scheinbar »nur« Typen abbildet. Unsere Literatur hat, sieht man von dem einzigen Fontane ab, niemals einen Thackeray oder Trollope, und schon gar keinen Dickens hervorgebracht. In deren Schule ist Miss Sayers gegangen und bringt Gestalten hervor, die man nicht vergißt, so charakteristisch schauen sie aus, so charakteristisch reden sie und so genau entspricht ihr Verhalten ihrem Aussehen und ihrer Rede. Beim Wiederlesen freut sich der Leser, Puffett wiederzusehen in seinen Pullovern, hat wieder Zweifel an Mrs. Ruddle, hat ein mitleidiges Lächeln für Miss Twitterton und deren selbstgemachten Wein, erkennt, daß der Pfarrer mit seinem Sherry keineswegs nur komisch ist und wird den rechtlichen Polizeidirektor Kirk bei jeder Begegnung höher schätzen, vor allem aber der Herzoginwitwe seinen Respekt nicht versagen. Sie alle sind mit einem Schuß liebenswürdig-menschlicher Ironie dargestellt, welcher sie gleichsam als Typus entschuldigt und den Entwurf einer Gesellschaft glaubhaft macht, die es so vielleicht nie gegeben hat und die sich doch eben so verstehen will. Niemals wird die Glaubhaftigkeit von den unveränderlichen typischen Zügen verstellt, sie sind wie sie sind und dokumentieren ihre eigene Beständigkeit, die dem Leser willkommen ist in einer unbeständigen Welt. Allerdings liegen die Dinge etwas komplizierter mit Peter und Harriet und in manchem Betracht auch mit Bunter, der ehestens zu erschüttern ist, wenn der Portwein seiner Lordschaft erschüttert wird. Peter, ce blond cadet de famille ducale anglaise, ist bei seinem letzten Auftritt nicht mehr nur der Märchenprinz, der er vordem war, ausgestattet mit den umfassendsten Eigenschaften und in der Lage, jegliche Ordnung wiederherzustellen. Er hat immer noch die vielfältigen Gaben, intellektuelle und materielle, mit denen ihn der Himmel und Miss Sayers ausgestattet und die den unverständigen Zorn seiner Kritiker hervorgerufen haben – man kann das im Nachwort zu Gaudy Night lesen. Aber auch er hat eine Dimension hinzugewonnen, die des Zweifels. Nicht etwa des Zweifels an seinem Schlußvermögen und seinem Raisonnement, wohl aber an den Zwecken, denen diese dienstbar gemacht werden und an den Rangordnungen der Pflichten. Bei Harriet liegt das anders, und lag anders auch in den voraufgegangenen Erzählungen; ihr ist keine Lebensprüfung erspart geblieben, und sie hat sich behaupten müssen. Der kritische Vorwurf, sie sei nichts anderes als eine Projektion, mit der die Kriminalautorin Sayers ihr eigenes Idealbild in der Kriminalautorin Vane entworfen habe, verfängt nicht; vielmehr erklärt er deren Existenz, und es ist nicht einzusehen, warum bei soviel Identifikationsangeboten der Autor nicht eines an sich selbst machen sollte.
    Zweifellos gehört auch der vortreffliche Bunter zu den Identifikationsangeboten, nicht, indem dem Leser die Dienerrolle angetragen wird, sondern als Teil seines Herrn. Das unzertrennliche Paar Herr und Diener, einander auf Hegelische Weise bestimmend so, daß der eine nichts wäre ohne den anderen, gehört zur Elementarausstattung der Weltliteratur und zeigt allein schon dadurch auch ein elementares Bedürfnis an. Es ist dasjenige nach vollkommener Verläßlichkeit, der Mann ist an Freunden reich, der ein gutes Weib und einen guten Diener hat. Bunter ist ein Bestandteil von Peters Vollkommenheit und immer gleich, weil die Treue immer gleich bleibt und die nicht von den Turbulenzen des Geschlechts bedrängte Liebe immer beständig. Von diesen Turbulenzen wäre auch noch ein Wort zu sagen, zumal die englische Kritik des Jahres 1937 Peters erotische Verhaltensweisen als durchaus anstößig empfunden hat. Das ist heute nur noch interessant als sozialgeschichtliches Datum, welches zeigt, wie lang das viktorianische Zeitalter angedauert hat, und selbst bei Miss Sayers sind Reste erkennbar, gerade wenn sie sich von ihm emanzipieren will. Dabei ist nicht an den Onkel Paul Delagardie zu denken als Typus des Lebemanns aus der Vorkriegszeit mit französischen Erfahrungen, die dem Neffen weitergegeben werden. Es geht vielmehr um Sätze wie Sie nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände, und was sie in seinem Gesicht sah, ließ ihr das Herz stocken … seine Stimme nahm den Triumph dieser Worte auf und gab ihn zurück wie eine steigende Woge. Das Unbehagen, das sie erregen, wird von einem einfachen Sachverhalt verursacht: an den Stellen, da Peters und Harriets eheliches Glück
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