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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ich mir auswählen kann, wo ich mich einmische? Und diese Einmischung ist an sich problematisch geworden, am wenigsten, weil sie die Hochzeitsreise zu einem Busman’s Honeymoon werden läßt. Das Lexikon macht den Romantitel erklärlich, der aus einer Variation der Wendung Busman’s Holiday besteht: Ferien oder ein arbeitsfreier Tag, der mit einer der eigenen Arbeit sehr ähnlichen Tätigkeit verbracht wird, zum Beispiel ein Busfahrer, der seinen Wagen fährt. Soweit ginge es eher um einen Störfall; aber aus ihm erwächst eine existentielle Verstörtheit, eine erschütternde Beeinträchtigung der scheinbar unerschütterlichen Sicherheit der Hauptfigur. Indem er seine Pflicht tut nach dem Muster der Kriminalgeschichte und den Täter der Gerechtigkeit überantwortet, liefert er ihn dem Galgen aus. Was heißt Gerechtigkeit, wenn ihr Opfer von jeher vom Leben benachteiligt war, woher nimmt der Günstling des Schicksals die Legitimation, das Verbrechen einem armen Teufel anzulasten, der nicht die Bohne besitzt in dieser Welt und uns nichts getan hat außer den Garten umzugraben? Zweierlei tritt in den Blick, um der Kriminalgeschichte ihren eindimensionalen Verlauf zwischen Rätsel und Auflösung zu nehmen: die Endgültigkeit des Todes, die der Gattung sonst Anlaß zum Spiel ist; und die Problematik eines Systems, das armselige Existenzen wie Miss Twitterton und in ihrer Benachteiligung bösartige wie Mr. Noakes und Frank Crutchley nicht allein duldet, sondern ermöglicht. Zwischen der Märchenwelt von Duke’s Denver und der Armut dieser Armen herrscht ein brutaler Gegensatz, der durch das Märchenmuster Gestörte Ordnung – Wiederherstellung der Ordnung nicht zu vermitteln ist. Es gibt, so scheint es, nur eine Kraft, welche das Inkommensurable erträglich macht: eben das ist der Grund für den Untertitel des Romans, und eben deshalb hat ein Liebesgedicht das letzte Wort, nachdem die Inszenierung abgelaufen ist.
    Die Leistung dieses Romans besteht darin, daß die Kriminalhandlung unbeeinträchtigt bleibt, ohne daß das Buch in ihr aufginge. Es gewährt – und dadurch ist es ein Fazit aller bisherigen Produktionen – mehr als die unterhaltliche Auflösung eines Rätsels. Unvermerkt stellt sich ein Problemhorizont dar, dessen Allgemeinheit seinen Ernst nicht beeinträchtigen kann. Die lösbaren Fragen werfen die unlösbaren auf, eben die nach der Gerechtigkeit und die andere nach der Liebe, die sich nicht bewährt, indem zwei sich kriegen, sondern indem sie sich erst dann das Leben ermöglichen. Beides tritt ohne den zudringlichen Ernst des deutschen Weltanschauungsromans in den Blick und ohne das Vergnügen zu beschränken, das von guter Unterhaltung mit Recht erwartet wird. Erkenntnis ist hier so wenig die Hauptsache, wie der Kriminalfall oder die Liebeshandlung Hauptsache wären. Eine Balance wird erzielt, ein notwendiger Bezug aller Komponenten aufeinander, der dem Buch Tiefgang gibt ohne Tiefsinn, Heiterkeit ohne Albernheit und eine befriedigende Integration aller Teile in das Ganze. Es enthält nichts, was nicht mitwirkt, dieses Kunstganze zu konstituieren.
    Dorothy L. Sayers ist auf ihr Handwerk stolz gewesen, dessen Handwerklichkeit man hier studieren kann. Sie zeigt sich zunächst an der Vorbereitung des Detektivfalles; schon bei der nächtlichen Ankunft der Hochzeitsreisenden spricht die robuste Mrs. Ruddle von der Brieftasche des unerfreulichen Mr. Noakes, die späterhin Ursache von Verdacht und nicht nur Instrument der Erpressung, sondern auch der Aufklärung werden wird. Der Kamin, der nicht zieht, die armselige Einrichtung von Noakes’ Zimmer mit Aspidistra, Kaktus, Uhr und Radio repräsentieren ein Ambiente, das nicht passender sein könnte. Aber sie sind nicht nur Ambiente, sondern haben ihre Funktionen im Mordfall, sind Fragmente nicht nur eines schäbigen Lebens, sondern notwendige Teile des Kausalnexus, den es zu enträtseln gilt, bis sie endlich als Beweisstücke A-D figurieren. Alle Teile dieses Nexus, Kette, Fischleine, Kerzen, Blick durch das niedrige Fenster, Uhrzeit und was sonst noch an Bruchstücken auf einen unerkannten Zusammenhang hinweist, stehen in einem Kontext, der mit dem Fortgang der Erzählung natürlich verknüpft ist. Es ist dies ein (keineswegs immer realisiertes) Verfahren der Detektivgeschichte, aber unter der Feder dieser Autorin wird in diesem Buch mehr daraus.
    Es entsteht nämlich Leben, indem an die Traditionen des englischen Romans angeknüpft wird, der – im
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