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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Insoweit verfuhr sie nicht anders, als jeder gute Autor dieser goldenen Zeit des Kriminalromans verfahren war, aber sie begnügte sich nicht damit. Vielmehr gab sie der Erzählung gleichsam einen doppelten Boden: auf einer Ebene war sie herkömmliche Detektivgeschichte, eine Scheinwelt zwischen zwei Buchdeckeln, in der nur zugelassen ist, war zur Erklärung dient und am Ende Aufklärung findet. Auf einer anderen Ebene aber, von der ersten kaum zu unterscheiden, machte sie die Scheinwelt selbst zum Gegenstand. Der Schauplatz der Werbeagentur, die Schein verkauft, und die Drogenwelt der Bright Young People, die sich flüchtigen Schein einhandelt, gaben den Stoff her für die Handlung, deren Zweck es ist, allen Anschein aus der Welt zu schaffen zugunsten eines unwiderleglichen Tatbestandes. Es war die Unwahrhaftigkeit des Lebens, die den Tod herbeiführte und der Wahrheitsdrang des Detektivs, der diesen Zusammenhang durchschaubar macht. Insofern schritt Miss Sayers – wir haben das an seinem Ort dargelegt – über den geschlossenen Rahmen der detective story hinaus, indem sie deren Endlichkeit aufgehen ließ in der Unendlichkeit der Lebensprobleme.
    Was sich so andeutete in Murder Must Advertise, eine Problematisierung, welche die Reinheit der Gattung dennoch unbeeinträchtigt läßt, wurde in Gaudy Night weitaus virtuoser gehandhabt. Die Autorin hat dies – auch davon war schon an seinem Ort die Rede – selbst ex post ausgedrückt, wenn sie in dieser College-Geschichte drei sich durchdringende Schichten benannte. Diejenige einer bloßen Denkaufgabe, diejenige, in der die Komplexität menschlicher Verhältnisse sich darstellt; und schließlich diejenige, in der absolute Werte miteinander konfrontiert werden und jegliche »richtige« Lösung unmöglich bleibt. Die erste wurde als lösbare Detektivaufgabe realisiert; die zweite bestand in der Lord Peter und Harriet Vane gestellten, subjektiven Lebensaufgabe, miteinander ins reine zu kommen, der Liebesgeschichte also; die dritte warf die Frage auf, ob wissenschaftlicher Wahrheitsliebe ein höherer Rang zukomme als der Rücksicht auf Menschlichkeit. Alle diese sehr verschiedenen Handlungsstränge waren so ineinander verflochten, daß das Ganze des Romans empfindlich gestört würde, wollte man einen von ihnen fortdenken. Wiederum war, unbeschadet des Zugewinns von Dimensionen, die »Reinheit der Gattung« bewahrt, freilich um einen problematischen Preis – auf Mord war verzichtet, Miss Sayers begnügte sich gleichsam mit psychologischer Vernichtung.
     
    In Busman’s Honeymoon wird die Detektivgeschichte endgültig aufgehoben im Roman, sie führt zurück ins Leben. Sie gibt jenem die Struktur, aber sie ist nicht mehr die Hauptsache, obgleich sie sich auf die klassischste aller denkbaren Kriminalaufgaben, auf das locked room mystery gründet. Sie war mit Umsicht gestellt: wie konnte Mr. Noakes zu Tode kommen, wenn alle Zugänge des Hauses von innen verschlossen waren? Für diese Veranstaltung zog Miss Sayers sämtliche Register und kündigte sie gleichsam an mit dem Shakespeare-Motto: Wenn ichs mache, laßt die Zuschauer nach ihren Augen sehn! Ich will Sturm erregen, ich will einigermaßen lamentieren … ich könnte einen Herakles kostbarlich spielen … ein Liebhaber ist schon mehr lamentabel. Mit diesen Worten inszeniert Zettel im Sommernachtstraum das ganze folgende kunstvolle Spiel, und der Inszenierungscharakter, nach den Regeln der Kunst, wird auf derart literarisch-ironische Weise angekündigt. Das Zitat aber, mit dem das Buch schließt, sein letztes Wort also, ist ganz anderer Art. Es stammt aus der Feder des Größten der Metaphysical Poets, des von Miss Sayers hochverehrten John Donne und ist die letzte von elf Strophen eines Hochzeitsgedichtes, eine Strophe allerdings, welche den konventionellen Witz der voraufgegangenen aufgehen läßt im flammenden Preis der Liebe als einer Himmelsmacht.
    Mit den beiden herausgehobenen Zitaten hatte die Autorin den Rahmen gesetzt, innerhalb dessen sich das Ganze entfaltet. Die Kriminalgeschichte ist das Substrat der Liebesgeschichte. Die Helden beider sind identisch, aber sie haben sich weit entfernt von der lupenrein auf Aufklärung gerichteten Rolle des herkömmlichen Detektivs. Hier ist er ein Mann, der liebt und zugleich sich der Aufgabe nicht entziehen kann, die der Zufall ihm in dem Augenblick in den Weg wirft, als er einen Anspruch auf Glück nicht für sich allein einlösen möchte: Wer zum Teufel bin ich, daß
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