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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall
Autoren: Dorothy L. Sayers
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Beweisführung noch einmal durch den Kopf gehen läßt und sich fragt, ob man sich am Ende nicht doch geirrt hat. Und manchmal sind sie so verdammt anständig zu einem …«
    »Wie war denn Crutchley?«
    »Er scheint sich um niemanden zu scheren und nichts zu bereuen, höchstens daß es ihm nicht geglückt ist. Er haßt den alten Noakes noch genauso wie an dem Tag, an dem er ihn umgebracht hat. Polly interessierte ihn überhaupt nicht – er sagte nur, sie sei eine dumme Gans und ein Luder, und ich sei noch dümmer, wenn ich Zeit und Geld für sie verschwendete. Und Aggie Twitterton könne mitsamt uns andern allen hingehen und krepieren, je eher desto besser.«
    »Peter, wie schrecklich!«
    »Wenn es einen Gott und eine Gerechtigkeit gibt, was dann weiter? Was haben wir getan?«
    »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube nicht, daß irgend etwas, was wir tun könnten, die Verteidigung präjudizieren würde.«
    »Das glaube ich auch nicht. Ich wollte, wir wüßten mehr darüber.«
     
    Fünf Uhr. Er stand auf und sah in die Dunkelheit hinaus, die noch nichts vom Nahen des Tages verriet.
    »Noch drei Stunden … Man gibt ihnen etwas zum Schlafen … Es ist ein gnädiger Tod, verglichen mit den meisten natürlichen Toden … Es ist nur das Warten und das Vorherwissen … Und das Häßliche daran … Der alte Johnson hatte recht; der Zug nach Tyburn war freundlicher … ›Und der Henker mit den Gärtnerhandschuhen kommt durch die Polstertür.‹ … Ich habe einmal die Genehmigung erhalten, bei einer Hinrichtung zuzusehen … Ich dachte, ich sollte lieber Bescheid wissen … Aber es hat mich nicht davon geheilt, meine Nase hineinzustecken.«
    »Wenn du deine Nase nicht hineingesteckt hättest, wäre es jetzt vielleicht Joe Sellon oder Aggie Twitteron.«
    »Das weiß ich ja. Ich sage es mir immer wieder selbst.«
    »Und wenn du vor sechs Jahren deine Nase nicht hineingesteckt hättest, wäre es fast mit Sicherheit ich gewesen.«
    Das ließ ihn in seinem rastlosen Auf- und Abgehen innehalten.
    »Wenn du diese Nacht hättest durchleben müssen, Harriet, wissend, was auf dich zukam, ich hätte sie mit demselben Wissen durchlebt. Der Tod wäre nichts dagegen gewesen, obwohl du mir damals wenig bedeutetest gegenüber heute … Was zum Teufel fällt mir ein, dich an dieses Grauen zu erinnern?«
    »Ohne das wären wir jetzt nicht hier – wir wären uns nie begegnet. Wäre Philip nicht ermordet worden, wir wären jetzt nicht hier. Wenn ich nie mit Philip zusammengelebt hätte, wäre ich jetzt nicht mit dir verheiratet. Alle Fehler, alles Elend – es hat alles irgendwie dazu geführt, daß ich dich bekam. Wie soll man denn das verstehen?«
    »Gar nicht. Ich glaube, da gibt es nichts zu verstehen.«
    Er warf das Problem von sich und begann seine ruhelose Wanderschaft von neuem.
    Wenig später sagte er:
    »Mein lieblich Schweigen – wer hat seine Frau so genannt?«
    »Coriolan.«
    »Auch so ein armer geplagter Teufel … Ich bin dir so dankbar, Harriet – Halt, nein, das ist nicht richtig; du bist nicht gütig, du bist nur du selbst. Bist du nicht furchtbar müde?«
    »Kein bißchen.«
    Es fiel ihr schwer, an Crutchley zu denken, wie er gegen den Tod die Zähne bleckte gleich einer gefangenen Ratte. Sie sah seine Qualen nur mittelbar durch die Seele, die voll davon war. Und durch die Qualen dieser Seele und die eigenen hindurch brach sich ununterdrückbar eine Gewißheit Bahn, die wie ein ferner Trompetenstoß war.
     
    »Weißt du, in den Gefängnissen hat man Hinrichtungen nicht gern. Sie regen die anderen Häftlinge auf. Sie hämmern an die Türen und spielen verrückt. Alle sind nervös … Eingesperrt wie die Tiere, jeder für sich … Das ist das Teuflische … wir sitzen jeder für sich in einer Zelle … Ich kann nicht heraus, sagte der Star … Wenn man nur für einen Augenblick herauskönnte, oder schlafen, oder aufhören zu denken … Oh, zum Teufel mit dieser Uhr! … Harnet, um Gottes willen, halt mich fest … hol mich hier heraus … schlag die Tür ein …«
    »Still, Liebster. Ich bin ja da. Wir bestehen das gemeinsam.«
    Im östlichen Teil des Fensters wurde der Himmel blasser und kündigte das Morgengrauen an.
    »Laß mich nicht los.«
     
    Während sie warteten, wurde es heller.
    Ganz plötzlich sagte er: »O verdammt!« und begann zu weinen – unbeholfen zuerst, ungeübt, dann freier. Und Sie hielt ihn fest, wie er zu ihren Füßen kauerte, an ihre Brust gedrängt, und barg seinen Kopf in ihren Armen, damit
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