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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall
Autoren: Dorothy L. Sayers
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zerbrechen, was man denn für das Mädchen tun könne. Harriet ließ ihn allein mit diesem Problem ringen (das wenigstens den Vorzug hatte, praktischer Art zu sein) und sagte dann:
    »Könntest du damit nicht Miss Climpson beauftragen?
    Sie mit all ihren hochkirchlichen Beziehungen müßte doch in der Lage sein, irgendwo von einer geeigneten Stelle zu hören. Ich habe das Mädchen besucht, und sie macht auf mich wirklich keinen schlechten Eindruck. Und du könntest mit Geld helfen und dergleichen.«
    Er schaute sie an, als sähe er sie zum erstenmal seit vierzehn Tagen.
    »Aber ja, natürlich. Ich scheine an Gehirnerweichung zu leiden. Miss Climpson ist doch die Person, die sich geradezu anbietet. Ich schreibe ihr sofort.«
    Er holte Papier und Feder, schrieb die Adresse und »Liebe Miss Climpson« und saß dann mit leerem Blick da, die Feder in der Hand.
    »Paß mal auf – ich glaube, das kannst du besser schreiben als ich. Du hast das Mädchen kennengelernt. Du kannst alles erklären … O Gott, ich bin so müde!«
    Das war der erste Riß im Schutzwall.
     
    Den letzten Versuch, mit Crutchley zu sprechen, unternahm er am Abend vor der Hinrichtung. Er war mit einem Brief von Miss Climpson bewaffnet, der die Grundzüge einer ganz ausgezeichneten und vernünftigen Regelung für Polly Mason enthielt.
    »Ich weiß nicht, wann ich zurück sein werde«, sagte er.
    »Du brauchst für mich nicht aufzubleiben.«
    »O Peter –«
    »Ich sage, du sollst um Gottes willen nicht für mich aufbleiben.«
    »Gut, Peter.«
    Harriet ging auf die Suche nach Bunter und fand ihn beim Wagen, den er von der vorderen bis zur hinteren Stoßstange polierte.
    »Nimmt Seine Lordschaft Sie mit?«
    »Ich weiß es nicht, Mylady. Ich habe noch keine Instruktionen erhalten.«
    »Versuchen Sie mitzufahren.«
    »Ich werde mein Möglichstes tun, Mylady.«
    »Bunter – wie läuft das für gewöhnlich ab?«
    »Das kommt darauf an, Mylady. Wenn der Verurteilte imstande ist, eine freundliche Haltung einzunehmen, ist es für alle Beteiligten weniger schmerzlich. Andererseits habe ich schon erlebt, daß wir das nächste Schiff oder Flugzeug in ein weit entferntes Land genommen haben. Aber da waren die Umstände natürlich andere.«
    »Ja. Bunter, Seine Lordschaft hat ausdrücklich gesagt, er wünsche nicht, daß ich für ihn aufbleibe. Aber wenn er heute nacht wiederkommt und nicht … wenn er sehr unruhig sein sollte …« Irgendwie schien dieser Satz nicht richtig zu enden. Harriet begann von vorn. »Ich werde nach oben gehen, aber ich kann mir unmöglich vorstellen, wie ich schlafen soll. Ich werde in meinem Zimmer am Feuer sitzen.«
    »Sehr wohl, Mylady.«
    Ihre Blicke trafen sich, und sie verstanden sich vollkommen.
     
    Der Wagen wurde vor die Haustür gebracht.
    »Gut, Bunter. Das genügt.«
    »Werden Eure Lordschaft meine Dienste nicht benötigen?«
    »Offensichtlich nicht. Sie können doch Ihre Ladyschaft nicht allein im Haus zurücklassen.«
    »Ihre Ladyschaft war so freundlich, mir die Erlaubnis zu geben.«
    »Oh!«
    Eine Pause, in der Harriet, die auf der Veranda stand, Zeit zum Denken hatte: Wenn er mich nun fragt, ob ich mir einbilde, er brauche einen Aufpasser?
    Dann Bunters Stimme, genau im richtigen Ton würdevollen Gekränktseins:
    »Ich hatte angenommen, Eure Lordschaft würden meine Begleitung wünschen wie gewöhnlich.«
    »Aha. Na schön. Springen Sie rein.«
     
    Das alte Haus war Harriets Wachgefährte. Es wartete mit ihr, nachdem seine bösen Geister gebannt waren und es selbst gekehrt und geschmückt war, bereit für den Besuch eines Teufels oder Engels.
    Es war zwei Uhr vorbei, als sie den Wagen zurückkommen hörte. Schritte erschollen auf dem Kiesweg, die Tür ging auf und zu, kurzes Stimmengemurmel – dann Stille. Dann, ohne daß auch nur das leiseste Füßescharren auf der Treppe zu hören gewesen wäre, plötzlich Bunters leises Klopfen an der kleinen Tür.
    »Ja, Bunter?«
    »Es wurde alles getan, was getan werden konnte, Mylady.« Sie sprachen mit gedämpften Stimmen, als ob der Verurteilte schon tot sei. »Es hat recht lange gedauert, bevor er überhaupt bereit war, Seine Lordschaft zu sprechen. Zuletzt hat ihn der Gefängnisdirektor überredet, und Seine Lordschaft konnte ihm die Botschaft überbringen und ihm die für die Zukunft der jungen Frau getroffenen Regelungen auseinandersetzen. Ich bekam den Eindruck, daß er für die Angelegenheit sehr wenig Interesse aufbrachte; man hat mir dort gesagt, daß er auch
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