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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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Presseagenturen heraus: »Lina Legrands Zustand ist nach wie vor kritisch, aber stabil. Dank der schnellen Hilfe von Dr. Ahangi und der hervorragenden medizinischen Versorgung in seiner Privatklinik wissen wir sie in besten Händen und können nun nichts weiter tun als abwarten und beten.« Danach feierten wir zu sechst bei akribisch zugezogenen Vorhängen und fürstlichem Essen dahinter unser eigenes »Auferstehungsfest«.
    Abends sahen wir uns den zweiten Teil des Spektakels an – im Vor- und Nachspann lief tatsächlich ein Schriftband, auf dem mir gute Besserung gewünscht wurde –, und den Montag gestalteten wir genauso. Allerdings nur fast, denn nun galt es, die Tragödie allmählich in ihrem ganzen Ausmaß Gestalt annehmen zu lassen: Mal ließen sich Renate und Günther bei einem kleinen Spaziergang durch den Klinikpark dabei ablichten, wie Renate an Günthers Brust schluchzte und er sie tröstete, mal brachte sich Ralf mit rot geweinten Augen (wozu so ein Lipliner alles taugt …) auf dem Balkon in Position und telefonierte dort gestikulierend mit seiner Schwester, und immer wieder schlenderte Jens »zum Rauchen« in seiner weißen Pflegerkluft zwischen der Klinik und dem Tor herum, vor dem die Reporter Stellung bezogen hatten.
    Die beiden Dorfpolizisten Karl und Paul tauchten zur Zeugenbefragung auch erst am Montagmittag in der Klinik auf. Wahrscheinlich waren sie Samstagabend dermaßen versackt beim »Osterfeuer-Löschen« nach der Messe, dass sie sich am Ostersonntag gerade mal mit Ach und Krach um die Begehung des Unfallortes und die Bergung des Autos kümmern konnten. Das stellte sich aber für uns als Segen heraus, genau wie die Tatsache, dass sie beim Verlassen des Klinikgeländes den Pressevertretern vor dem Tor eitel und bereitwillig Auskunft über meinen Zustand gaben.
    Dadurch gab es nämlich am Dienstag neben wirklich fulminanten Kritiken für den Mehrteiler auch eine ausführliche Berichterstattung über meinen Unfall: Fotos von den Bremsspuren, vom toten Wildschwein, vom zerbeulten und blutverschmierten Wrack (innen und außen), Fotos von der Klinik, vom telefonierenden Ralf, von meinen weinenden Eltern, sowie natürlich die O-Töne der Polizisten: »… Wildschwein vors Auto … von der Straße abgekommen … noch nicht vernehmungsfähig … sobald sie aus dem Koma erwacht, werden wir sie aber noch mal genau befragen.«
    Die meisten Schlagzeilen lauteten dank dieser Informationen in etwa: »TV-STAR IM KOMA! Luder-Lina ohne Bewusstsein, Szibuda weint.« Dass ich bereits in der Vorwoche mit der Single zum Mehrteiler »Ich steh wieder auf« in die Charts eingestiegen war, wurde erfreulich oft aufgegriffen und als »Genesungswunsch« für die reale Situation genutzt. Auch die TV-Magazine griffen meinen Fall natürlich mit Kusshand auf, genug Bildmaterial gab’s von mir ja ohnehin, und so war ich die ganze Woche über nahezu omnipräsent in allen Medienerzeugnissen, genau wie Rezas Klinik.
    Auch Reza gab zwei Interviews, in denen er sich natürlich auf seine Schweigepflicht berief, was Fragen nach meinem Zustand anging. Stattdessen schilderte er nur den Zufall, wie er mich vom Tennisclub kommend gefunden hatte, und hob in gekonntem Understatement die medizinisch-technischen Vorzüge seiner Klinik in Verbindung mit seiner Qualifikation als Unfallchirurg hervor.
    Ich verbrachte die gesamte Woche in einem abgeschiedenen Teil der Klinik, der streng vom Rest des Gebäudes abgeschirmt wurde. Alle anderen Promis, die im Laufe der Woche OP-Termine hatten, wurden mittels des neuen Fahrservices auch dezent an der Presse vorbeigeschleust, sodass Reza mit seiner Klinik in Sachen Reputation, Service und Diskretion ordentlich punkten konnte.
    Nur der armer, kleine Pfleger, der ganz neu in dem Laden angestellt war, Ostersamstag Dienst gehabt hatte und immer zum Rauchen in den Park ging, hielt dem Druck und den Verlockungen der Presse nicht stand. Immerhin sind 20 000 DM eine Menge Geld für einen Hilfspfleger in der Probezeit, und so versorgte er am Freitag nach Ostern einen freischaffenden Society-Reporter, der sich sowohl besonders hartnäckig, als auch besonders solvent gezeigt hatte, mit höchst brisanten Informationen: dass Lina Legrand noch am Unfallort reanimiert werden musste, dass sie aufgrund der Schwere ihrer Verletzungen ohne echte Aussicht auf Besserung im Koma läge und vor allem dass sie ihre Zwillinge verloren hatte. Und als wäre das alles nicht schon Bombe genug, lieferte dieser kleine
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