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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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und Tod im Krankenhaus liegt und Sie dabei permanent beobachtet werden? Ich bin eine einfache Frau, aber ich bin anständig und habe Werte – und dazu gehört, dass, wenn es jemandem schlecht geht, man nicht noch drauftritt!«
    Sie kam richtig in Fahrt, und ihre Stimme war kurz davor, sich zu überschlagen: »Wenn Sie sich schon im Leid anderer suhlen müssen, damit Ihr eigenes, kleines Leben nicht mehr so furchtbar erscheint – es gibt so viele furchtbare Dinge auf der Welt, da finden Sie bestimmt was, aus dem Sie Ihre ›Schtorri‹ machen können, aber ich flehe Sie an: LASSEN SIE UNS ENDLICH IN RUHE!!!!«
    Den letzten Satz schrie sie schon völlig verzweifelt unter Tränen in die Runde, bevor sie schluchzend in Günthers Armen zusammensackte. Ich merkte, wie auch mir vor dem Fernseher die Tränen über die Wangen liefen, und Jens nahm mich in den Arm. »Das hätte ich ihnen nicht antun dürfen«, stammelte ich. »Ich glaube, das war alles echt zu viel für sie!« Jens strich mir über die Haare: »Alles wird gut, die beiden sind stark, mach dir keine Sorgen!«
    Drei Stunden später tauchten meine Eltern wieder in der Klinik auf, Jens öffnete ihnen die Tür zu meinem Separee, und ich fiel meiner Mutter sofort um den Hals. »Oh Mama, es tut mir so leid, ich hätte euch in diesen ganzen Mist niemals so reinziehen dürfen! Ich hab mir gar keine Gedanken gemacht, was euch das alles für Nerven kostet, bitte entschuldigt! Ich wollte nicht, dass ihr euch so aufregt!«
    Renate wiegte mich in der Umarmung beruhigend hin und her, dann nahm sie meinen Kopf, strich mir die Haare aus dem Gesicht und sah mich geradeheraus an. »Bei uns ist alles bestens, Mäuschen«, sagte sie mit warmer Stimme und ließ ihr sanftes Lächeln zu einem breiten Grinsen werden. »Aber war ich eben wirklich so glaubwürdig, dass sogar du dir jetzt schon Sorgen um uns machst?!«
    Mir blieb der Mund offen stehen, währenddessen spazierte Günther Arm in Arm mit Jens in das Zimmer. »Na, jetzt wissen wir auch, von wem du dein schauspielerisches Talent hast, was, Lienchen?!«, knuffte mein Vater mich vorsichtig in die Seite. »Also wenn ich deine Mutter ja nicht ohnehin schon längst geheiratet hätte – heute wär’ wieder mal so ein Tag, da könnte ich das direkt nochmal und wieder und wieder tun. ’Ne absolute Wucht ist deine Frau Mama, weißt du das?!«, jubilierte er.
    Ich nickte, immer noch fassungslos, aber schon wieder deutlich besser gelaunt. »Siehste …«, sagte Jens nur und zog dabei die Augenbraue hoch.
    »Und weißt du, was das Beste ist?«, fragte Günther und gab die Antwort direkt selber: »Die Schmeißfliegen hier vor dem Tor sind alle weg! Und hinterhergefahren ist uns auch niemand! Ich glaube, wir haben es echt geschafft!«
    »Oja, das habt ihr wohl«, sagte ich. »Seit der Pressekonferenz wird in allen Magazinsendungen die ganze Zeit schon über Renates Ausbruch und in dem Zusammenhang auch über Ethik, Anstand, Sitte und Moral diskutiert. So ’ne Grundsatzdiskussion: Wie weit darf die Presse gehen? Ihr seid echt die Größten!«
    »Nein, nur die Großes!«, grinsten Renate und Günther unisono, und gemeinsam mit Reza, Ralf und Sabine, die später auch noch dazukamen, verbrachten wir alle zusammen eine letzte Nacht in der Klinik, bevor die Komapatientin am nächsten Morgen als transportfähig eingestuft und verlegt wurde – ohne dass es auch nur ein Reporter mitbekam. Die waren nämlich damit beschäftigt, die Diskussion über Sitte und Anstand in ihren Blättern und Magazinen auszufächern.

23
Happy End in Holland
    (April 1998 – heute)

    Am nächsten Morgen waren alle erhältlichen Printmedien voll mit ethischen Diskussionen, und genau wie bei Lady Di schwangen natürlich diejenigen besonders ambitioniert die Moralkeule, die vorher auch besonders schamlos in ihrer Berichterstattung gewesen waren. Neben den Medien bekamen noch ein paar andere ihr Fett weg – beispielsweise die beiden Dorfpolizisten Karl und Paul, die durch ihre laxe Art der Unfallaufnahme und Fahrzeugbergung (ihr Motto: »Läuft ja nit weg«) den Reportern überhaupt erst die luxuriöse Möglichkeit gegeben hatten, ganz in Ruhe reichlich Fotos vom blutverschmierten Unfallwagen und vom schuldigen Wildschwein zu schießen (das Wildschwein hatte Reza übrigens ganz übel zermatscht, wo es angeblich mit meinem Auto kollidiert war, und wo vorher die Kugeln und das Bratenthermometer gesteckt hatte. Hätten wir geahnt, wie lasch die Unfalluntersuchungen
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