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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
Autoren: Regine Kölpin
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Lage, ganze Sätze zu bilden, noch alle Dinge beim Namen zu nennen. Er schöpfte weiterhin Wortfantasien, die oft über Hiskes Vorstellungswelt hinausgingen. Hinzu kam, dass er keine klare Aussprache hatte und die Silben oft nuschelte. Einzig Garbrand verstand meist, was der Wortsammler sagen wollte, und so war er eine Art Vaterersatz, zumindest aber ein enger Vertrauter, für den Knaben geworden.
    Anfänglich hatte Hiske versucht, ihm seinen wirklichen Namen, den seine Mutter ihr genannt hatte, zurückzugeben, doch er reagierte nicht, wenn man ihn mit Balthasar ansprach. Also nannte ihn jedermann nur den Wortsammler, und der andere Name war in Vergessenheit geraten. Vergessen, so wie das Jahr seiner Geburt. Er musste jetzt ungefähr zwölf Lenze zählen, obwohl er beileibe älter wirkte und das alle eine lange Zeit getäuscht hatte.
    Hiske schlug sich das Tuch um die Schultern und machte sich auf den Weg. Der Boden war noch feucht vom Tau, und über den Wiesen waberten die Morgennebelschleier. Ein Blick zum Hammrich, ein Sumpfgebiet, das sich hinter der Burg erstreckte, zeigte ihr auch da eine weiße Wand, die sich nach und nach verflüchtigte, als schöbe sie jemand Stück für Stück beiseite. Hiske sah ein altes Bauernweib über die Wiesen darauf zusteuern. Sie würde von den dort niedrig wachsenden Weiden Zweige für die Korbherstellung schneiden.
    Hiske lief mit schnellem Schritt, es war zu Fuß ein Stück des Weges. Sie hatte schon überlegt, die alte Hofstelle aufzugeben und Krechting zu bitten, ihr in der Neustadt ein kleines Haus zur Verfügung zu stellen. Die Wege waren im Winter nur schwer begehbar, und so würde es ihr nicht möglich sein, immer rechtzeitig bei den Weibern in der Neustadt anzukommen. Doch in dem Fall würde es andersherum für sie schwer werden, die Niederkommenden in Dykhusen zu erreichen. Vielleicht war es aber möglich, ein Gefährt zu bekommen, um die Entfernung leichter überwinden zu können.
    Als sie die Straße zum alten Hafen betrat, sah sie aus dem Augenwinkel, dass am neuen Siel tatsächlich ein großer Kahn angelegt hatte. Sie empfand es stets als willkommene Abwechslung, wenn ein Schiff kam. Vermutlich auch, weil sie immer wieder die Hoffnung hegte, dass eines Tages Jan darauf einfahren würde. Die Schiffe wurden immer größer, die früher einlaufenden Knorren waren seit Kurzem von anderen Schiffen wie Hulk oder Kraweel abgelöst worden, seitdem das neue Siel befahrbar war, wenngleich sich die Fertigstellung noch hinzog.
    Sie wunderte sich allerdings, dass Krechting zu früher Stunde an ihr vorbeistürmte und nur kurz innehielt, um Hiske eine knappe, höfliche Aufwartung zu machen. »Gott grüße Euch, Hebamme«, sagte er. »Mit dem Schiff ist der Mann angereist, der die Neustadt mit mir fertigbauen wird, damit wir zu Wohlstand kommen in der Herrlichkeit. Ich empfehle mich!« Damit lief er weiter.
    Hiske war das altbekannte Blitzen in seinen Augen nicht entgangen. Hinrich Krechting hatte eine neue Aufgabe, die ihn ausfüllte, das gab ihm hoffentlich seinen Schwung und seine Lebenskraft zurück.
    Sie eilte weiter zu einem Haus, das mit roten Backsteinen gemauert und mit roten Ziegeln gedeckt war. Es war eine kleine ebenerdige Kate. Im vorderen Teil befand sich die Bäckerei, im hinteren schlossen sich Schlafraum, Küche und Kuhstall an.
    Der Ehemann stand vor der Backstube, winkte die Hebamme nach hinten durch. Sie musste die Kammer nicht suchen, das Stöhnen des Weibes hallte Hiske entgegen. Sie lag mit großen Augen in ihrer Bettstatt und wirkte erleichtert, als die Hebamme eintrat. Hiske tastete die Lage des Kindes ab, untersuchte die Frau. Die Wehen waren noch nicht kräftig. »Es dauert noch. Ich komme gleich wieder, lasse aber Kräuter zum Kauen hier, die dir die Schmerzen nehmen.« Hiske sah die Furcht in den Augen der Gebärenden, es war ihre erste Niederkunft.
    »Lass mich nicht allein!«, bat sie die Hebamme.
    Hiske strich dem Weib über die Stirn, setzte sich auf die Bettkante. »Hör zu, ich laufe nur zum neuen Siel. Es ist ein Schiff gekommen, und ich muss sehen, ob sie frische Kräuter, Öle und Töpfe für mich haben, damit ich euch alle weiter behandeln kann. Wenn ich zu spät komme, hat mir der Bader wieder alles vor der Nase weggeschnappt.«
    Obwohl er es nicht braucht und dies nur tut, um mir eins auszuwischen, dachte die Hebamme. Sie sagte es aber nicht laut, weil sie keine Zwietracht säen wollte.
    Das Weib nickte. »Es dauert also noch?«
    »Ja,
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