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Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall

Titel: Hiske Aalken 02 - Der Meerkristall
Autoren: Regine Kölpin
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verhalten. Krechting hingegen genoss ein hohes Ansehen bei allen, was sicherlich auch an der Gunst der Häuptlingswitwe lag. Alle Hoffnungen ruhten auf dem Juristen, damit die Neustadt wuchs und zu Ruhm und Ehre kam.
    Nun sollte bald jemand eintreffen, der Krechting bei der Ausführung der Pläne unterstützen sollte. Das hatte Anneke zumindest gehört. »Vielleicht ist der Mann ledig, und ich kann bei ihm landen«, flüsterte sie. »Keiner redet über meinen heimlichen Nebenverdienst, und so werde ich nie als Duuvke bezeichnet. Das öffnet mir die Türen auch zu den reichen Männern. Sie nehmen sich zwar Frauen wie mich, würden sie aber nie ehelichen.« Sie lächelte und dachte: Kein Fremder weiß von meinem Tun, wenn ich es geschickt anstelle. Mit etwas Glück würde auch Jan Valkensteyn irgendwann zurückkommen, und dann wäre sie schneller als Hiske, die sich ebenfalls noch nicht vermählt hatte, obwohl es tatsächlich unter den Deicharbeitern ein paar Werber gegeben hatten. »Na, wer dunkle und geheimnisvolle Weiber mit solch merkwürdigen Augen mag.«
    Anneke besah den Morgen, die ersten Sonnenstrahlen erwärmten die Luft. Sie würde nur kurz schlafen können, bevor der neue Tag mit neuen Hoffnungen und Träumen begann, die sich spätestens in der Nacht, wenn der letzte Freier gegangen war, wieder zerschlagen hatten.

Amsterdam 1524
    Als der Meister in die Werkstatt tritt, ist der Alte tot. Er hält das Medaillon in der offenen Hand, die Kette hat sich um den Zeigefinger geschlungen.
    Der Meister schafft den Mann hinters Haus. Er ist schwerer als gedacht. Der Morgen dämmert bereits, noch sind kaum Menschen auf den Straßen unterwegs. Amsterdam schläft noch. Hinter dem Haus befindet sich eine Gracht, die träge vor sich hinfließt. Dort bindet er ihm Backsteine an Füße und Hände und legt ihn auf die Wasseroberfläche. Die Gracht öffnet kurz ihren Schlund, und er verschwindet darin, als habe sie ihn gierig verschluckt. Es wird dauern, bis man ihn findet, und niemand kann eine Verbindung zwischen dem Meister und dem Edelsteinschleifer herstellen. Er hat ihn sorgfältig in einer anderen Stadt auserwählt und darauf geachtet, dass sie sich zuvor niemals über den Weg gelaufen sind.
    Der Meister setzt sich im Licht der aufgehenden Sonne an seinen Küchentisch, öffnet das Medaillon, sieht auf die Kristallträne, die in einem Meer aus dunklem Samt, Sternen und Goldwellen badet. Es wird das Letzte sein, was sie von ihm hört, denn seine Berufung ist eine andere. Er kann, er darf niemals lieben, das ist nicht sein Weg. Er hat schwere Sünden auf sich geladen, die er nun abarbeiten muss.
    Kein Weib wird mehr bei ihm liegen, keine weiche Haut mehr die Seinige berühren. Nun, wo es vollbracht ist, muss er das Priestergewand erneut anlegen, ist nie wieder der Meister mit einfacher weltlicher Kleidung. Er wird endgültig zurückkehren in sein gottesfürchtiges Leben. Morgen für Morgen, Abend für Abend wird er sich kasteien. So lange, bis die Haut auf dem Rücken aufgeplatzt ist, so lange, bis er mehrmals täglich das Blut gespürt hat.
    Er ist es nicht wert, anders weiterzuleben. Er hat gehurt, er hat getötet, er hat Leben gezeugt. Aber er hat auch etwas geschaffen. Dieses Schmuckstück und diese Träne, die ewig weinen wird, weil er dennoch nicht anders konnte als zu lieben.

2. Kapitel
    Hiske war, obwohl sie nur wenige Stunden Schlaf gefunden hatte, früh aufgestanden, denn sie musste in die Neustadt, weil ein Weib niederkam. Die Fäuste ihrer Magd hatten laut gegen die Tür geschlagen und kein weiteres Ausruhen geduldet. Die Hebamme war müde, wusch sich mit noch fast geschlossenen Augen Hände und Gesicht.
    Für den Wortsammler, ihren Ziehsohn, stellte sie eine Schale Haferbrei hin, die er wie immer mit drei großen Schlucken leeren würde. Er war noch größer und kräftiger geworden, seit er bei Hiske regelmäßig etwas zu essen bekam. Sie hatte nicht viel, aber es reichte, um nicht krank zu werden, und es reichte, um mit gefülltem Magen dem Tagwerk nachzugehen. Wenn die Weiber mit ihren Diensten zufrieden waren, gab es nicht nur die von Krechting festgesetzten Münzen, sondern meist noch etwas Mehl, Graupen oder Hafer, womit Hiske etwas Essbares herstellen konnte. In der letzten Woche hatte sie sogar ein gerupftes Huhn geschenkt bekommen, das sie, zusammen mit dem Wortsammler und Garbrand, als Festmahl zu sich genommen hatte.
    Mit dem Sprechen haperte es nach wie vor bei dem Knaben. Er war weder in der
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