Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Autoren: Regine Kölpin
Vom Netzwerk:
gut.

2. Kapitel
    Die Straßen Amsterdams lagen verlassen da, noch lärmte kein Pferdefuhrwerk durch die morgendlichen Gassen. Rothmann wartete. Gleich würde der junge Holländer zu ihm kommen und wissen wollen, ob er ihn begleitete. Die Zukunft lag nicht in dieser Stadt, die mehr Wasser als Wege hatte. Ein Land, in dem Männer wie er wie Wild abgeknallt wurden.
    Er aber wollte frei sein, predigen, wann immer er wollte und was immer er wollte. Er wollte das Neue Jerusalem in seinem Leben noch aufsteigen sehen. Wollte die Kinder durch geschmückte Straßen tanzen lassen ohne Furcht, am nächsten Tag nichts mehr zu essen zu haben, und ohne ihnen mitteilen zu müssen, dass ihre Väter nicht wiederkommen würden. Er wollte Glück und Unbeschwertheit in den Augen seiner Glaubensbrüder sehen. Nicht die Schwerter des Bischofs, die sich ohne Skrupel in die Leiber seiner Mitbrüder bohrten.
    Diese Zeit würde kommen, ganz sicher. Er konnte nur nicht mehr sagen, wann und wo. Ihr Scheitern, ihre Niederlage waren zu groß gewesen. Und auch danach hatten sie es nicht verstanden, stärker als die Mächte des Kaisers und der Kirche mit all ihren Bischöfen und Predigern zu sein.
    Vielleicht war es an der Zeit, sich zu seinen Glaubensbrüdern zu gesellen, vielleicht war jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Er war müde, seine Knochen erlaubten ihm nicht mehr, so geschmeidig zu sein, wie er sein musste, wenn er nicht scheitern wollte.
    Es war verlockend, jetzt nach Ostfriesland zu reisen und sesshaft zu werden, es genau dort noch einmal zu versuchen. So lange, bis der Graf einlenkte und sie wieder zu sich ließ, sie unterstützte. Er würde nicht lange vor dem Bischof kuschen, das konnte gar nicht sein.
    Auch wenn die Reise an das Schwarze Brack alles andere als ein Spaziergang sein würde, so gab es an ihrem Ende doch ein Ziel, das erstrebenswert war.
    Rothmanns Gedanken schwankten hin und her, waren unstet wie das Flackern der Kerze auf seinem Tisch. Im Laufe des Morgens würde der Arzt hier sein, von ihm erwarten, dass er wusste, was er tun wollte. Rothmann hörte die Kirchturmglocke zur vollen Stunde schlagen. Er hatte noch fast eine Stunde Zeit, wollte bis dahin das Für und Wider abwägen.
    Kurz bevor die Zeit um war, hatte er seinen Entschluss gefasst. Er würde nicht nach Ostfriesland gehen. Eine Stimme in ihm sagte, dass die Zeit noch nicht reif dafür war. Er musste noch mehr Menschen erreichen, egal, wie leistungsfähig er noch war – oder eben nicht. Es war feige, war zu früh, schon jetzt aufzugeben. Er wollte nichts unversucht lassen, noch vielen Menschen die Botschaft zu überbringen. Die Botschaft des alleinigen Glaubens, die Botschaft des ewigen Glücks.
    Rothmann nahm ein Blatt Papier, tunkte den Federkiel in die Tinte und zog die Spitze mit kräftigen Strichen über das Blatt. Er wusste genau, was er schreiben musste, damit seine Brüder die Hoffnung nicht verloren, damit sie daran glauben konnten, dass es weiterging. Es bedurfte nur weniger Sätze, er hatte die ganze letzte Stunde darüber nachgesonnen.
    »Ihr schlaft noch immer nicht, Herr Johannes?« Sein Diener steckte den Kopf zur Tür hinein. Hier hieß Rothmann Johannes, in der nächsten Stadt würde er sich David, dann Josef nennen. Er hatte schon viele Bibelnamen durch. Rothmann winkte ab, merkte, wie müde seine Bewegung war. Der Diener zog sich augenblicklich zurück, schloss die Tür so leise, dass es kaum zu hören war.
    Rothmann sog die kühle Luft des Zimmers ein, warf einen Blick durch die Butzenscheiben nach draußen. Dort sah es aus, als spielten die Wolken miteinander Fangen. Einen Sommer würde er sicher noch haben. Im Herbst konnte er darüber nachdenken, sich niederzulassen. Schon während er den Brief versiegelte, wusste er, dass er seine Glaubensbrüder aus alten Tagen, die in der Herrlichkeit auf ihn warteten, als sei er der Messias persönlich, sehr enttäuschen würde, wenn er ihnen nur diese Epistel als Zeichen geben würde. Doch er hatte keine Wahl.
    Jan Valkensteyn war schon früh auf den Beinen. Sein Mitreisender, der ehemalige, schon recht betagte Mönch Garbrand, schnarchte auf seinem Strohsack.
    Der junge Arzt sah aus dem Fenster. Amsterdam schlief noch, die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber er musste jetzt gehen, wenn er ihn erwischen wollte. Ein Mann wie er wartete nicht gern, und er würde sicher ungehalten sein, wenn Jan zu spät kam. Er durfte keine Zeit verlieren. Jan sprang in seine Beinkleider, schlüpfte aus der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher