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Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin

Titel: Hiske Aalken 01 - Die Lebenspflückerin
Autoren: Regine Kölpin
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paarmal aufgegangen war, wieder kosten konnte.
    Kaum hatte er die Schale geleert, sie wieder abgestellt und sich verkrochen, erschien die Frau, wischte sie mit dem Zipfel ihrer Schürze sauber und nahm sie mit hinein. Das Weib sah immer ein bisschen traurig aus. Und so, als habe sie große Furcht vor dem Leben. Furcht, die auch der Knabe kannte. Er blieb in seiner Deckung, immer das Haus im Auge. Erst als er in Sicherheit war, holte er das Stück Brot aus dem Ärmel, es war noch warm. Gierig biss er davon ab.
    Gleich würde er sich einen Augenblick hinlegen, der Holzstapel am Feld lag bereits im hellen Schein der Morgensonne. Der Junge könnte ein paar Stunden in der Wärme einnicken. Die Männer bauten den Wall, die Weiber waren mit ihrer Arbeit beschäftigt. Es war ein guter Zeitpunkt.
    Als sich der Knabe jedoch mit dem Kopf an den Stapel lehnte, kamen ihm die seltsamen Bilder der Nacht wieder vor Augen. Jetzt, wo er satt war, begannen sie durch seinen Kopf zu tanzen, gaukelten ihm eine wilde Szenerie vor, die er nicht in die richtige Reihenfolge bekam und die er nicht verstand. Weil er so viele Dinge nicht verstand. Er wusste nicht, was die Leute miteinander redeten, weil kaum jemand je mit ihm ein Wort gewechselt hatte. Er hatte oft versucht, die Worte zu verstehen, die sie miteinander tauschten, doch es war ihm bislang nur gelungen, ein paar Bedeutungen zu begreifen. Es war aber auch unwichtig. Er hatte nur noch drei Dinge, die ihn berührten. Er musste auf das Meer aufpassen, und er musste essen und sicher schlafen. Der Knabe fasste sich an den Kopf, legte ihn dann zwischen die Knie und versuchte, die Bilder zu ordnen.
    Es war eine merkwürdige Nacht gewesen. Der Himmel war mit Sternen übersät, und doch hatte irgendjemand immer wieder weiße Schleier darübergelegt. Wie Fäden hatten sie sich gezogen.
    Er war am Abend noch am Lager gewesen. Es waren Menschen dort, die von der Burg verschluckt und kurze Zeit später wieder ausgespuckt wurden. Der Knabe hatte Angst vor dem großen Gemäuer. Es hatte dicke Steine und war gefährlich, weil alle Stimmen im Hof widerhallten. Er näherte sich ihm nur bis zu einem gewissen Radius, wagte sich nie in dessen Mauern. Zu mächtig war die Furcht, dass sie ihn umschlossen und zerquetschten. Er schlich sich meist von der anderen Seite heran, wo die Wagenstadt lag. Wenn die Leute für einen Augenblick in den Löchern der Burg verschwunden waren, konnte er dorthin und wieder ein Stück Brot oder Käse finden. Hin und wieder etwas Schinken. Wenn ihn aber jemand sah, wurde er mit Steinen beworfen, bis er wieder unsichtbar war.
    Als alle weg waren, hatte jemand Liebe gemacht. Das klang gut, wie das leise Grummeln einer Kuh. Manchmal auch wie das Brüllen. Ganz oft kam es aus dem Wagen des Weibes, die so schön wie eine Blume war und deren rötliches Haar der Farbe des Sonnenaufgangs glich. Auch sie warf mit Steinen nach ihm. Wie alle anderen. Er hatte nicht gesehen, wer aus dem Wagen gehuscht war, als die Geräusche verstummt waren. Er hatte weitergewollt, nachsehen, ob das Meer noch immer nicht beleidigt war. In diesem Moment hatte er etwas gehört.
    Der Knabe hämmerte jetzt mit dem Kopf auf seine Knie. Was hatte er nur gehört, was gesehen? Er wusste es nicht, nur, dass es schlimm gewesen war. Und nicht in sein Bild passte.
    Ein Mensch huschte immer wieder an seinem inneren Auge vorbei. Es war ein Mann. Der böse Mann. Der sehr böse Mann. Der, der immer schimpfte und der ganz viel Liebe machte und wo das eine Weib immer weinte und schrie, wenn er nach Hause kam. Er schlug sie auch. Er war böse. Der Knabe mochte ihn nicht, dachte oft, dass der Mann weggehen sollte. Er hatte auch begonnen, das Meer zu zähmen. Er und der, den es sich schon geholt hatte. Sie wehrte sich, die See, er hatte es immer gewusst. Es war noch nicht zu Ende.
    Als er dem bösen Mann mal in der Wagenburg über den Weg gelaufen war, hatte der nach ihm getreten.
    Der Knabe schlug noch immer mit dem Kopf auf seine Knie. Der böse Mann hatte in der Nacht plötzlich dagelegen. Und es hatte etwas aus ihm herausgehangen. Es war warm gewesen. Und glitschig.
    Der Knabe hatte vergessen, was geschehen war. Es war mit dem Morgenwind aufs Schwarze Brack hinausgeweht. Aufs Meer, das diese dummen Menschen bändigen wollten, wie den Tanzbär, der einmal auf dem Schiff mitgereist war. Das Hämmern in seinem Kopf wurde weniger, verebbte schließlich. Der Knabe wurde ruhiger. Alles war aufs Meer hinausgeschwommen, alles war
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