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Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)

Titel: Hiobs Spiel 1 - Frauenmörder (German Edition)
Autoren: Tobias O. Meißner
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junge Mann zuckte die Schultern und grinste traurig. »Es sind miese Zeiten, Ma’am. Ich kann nicht wählerisch sein.«
    »Töten ... töten Sie auch?«
    »Na klar. Das ist doch das Beste dran.«
    Ein Schweigen entstand, wuchs, breitete feuchte Schwingen aus und hob schließlich ab.
    »Sie lügen«, keuchte die alte Frau. » Affa bedeutet auch Leere oder nichts. Sie sind noch ein Anfänger. Ein Volontär.«
    »Tja, was soll ich sagen? Auch NuNdUuN hat mal klein angefangen und sich dann hochgearbeitet.«
    »Und sich hochgearbeitet.« Sie sah ihn an, und der junge Mann wich ihrem Blick aus. Diese Frau war nackt, sie war alt, schwach, verletzt, völlig hilflos und entkräftet, aber sie hatte verdammt noch mal beunruhigend viel Wissen.
    »Das Geld ist auf dem Klo, unten in die Hohlräume der Klobrille geklebt. Aber es ist nicht viel. Wofür brauchen Sie es?«
    »Ich muss nach Kolumbien fliegen. Heute noch.«
    »Dafür wird es reichen. Seien Sie mein Gast, Affa. «
    Schmunzelnd ging der junge Mann aufs Klo und fand an der angegebenen Stelle tatsächlich ein paar Fünfhundertmarkscheine in urinsteinbesprenkelten Plastiktütchen – ein originelles Versteck, wie er fand, eins, das es einem erlaubte, jeden Tag aufs Neue auf den verhassten Mammon zu scheißen.
    Er klaubte die Scheine heraus, wusch sich die stinkenden Hände und schnitt sich selbst Grimassen im blitzsauberen Spiegel, der keinerlei Zahnpastaspritzer aufwies, da die dritten Zähne seiner einzigen Königin unterhalb leise im Reinigungsglas sich wiegten.
    »Ich danke Ihnen sehr, Frau Rosenmacher«, rief er an der Tür zurück. »Wir werden uns sicher nie wiedersehen, also wünsche ich Ihnen alles Gute.«
    »Vergessen Sie nicht, den Notarzt zu rufen«, krächzte ihm das tapfere alte Mädchen hinterher, aber da er beim Treppenhaus-Hinabspurten beinahe mit seinem republikanischen Hauswirt zusammenstieß und sich eine ihn doch irgendwie immer wieder aufs Neue ärgernde »Arbeitsscheuer Rotzlöffel!«-Schelte einhandelte, vergaß er es dummerweise doch.
    Sie setzte sich im Taxi so hin, dass dem Fahrer – einem blassen, vollberuflich einsamen Philosophiestudenten – beinahe der Innenrückspiegel beschlug. Für einen Augenblick erwog sie, bereits hier in Berlin damit anzufangen, junge Männer mit Tod zu beschmieren – irgendetwas an den dunkelorangenen massiven Lederpolstern des dicken Daimlertaxis forderte sie mit einem Versprechen heraus –, aber schließlich riss sie sich doch zusammen. Eine Überschlagsrechnung, die davon ausging, dass sie für einen Stehfick etwa zehn Minuten brauchte inklusive Anmache und Abwimmeln, und dass sie etwa zehn bis zwölf Stunden durchhalten könnte – mit einigen Pinkel- und Snackpausen natürlich –, ließ die äußerst befriedigenden Zahlen »60« und »72« hinter ihren Augenbrauen auflachen. Berlin war zu klein für solche Sachen. Sie wollte Barranquilla.
    Sylvie hatte ihr von Barranquilla erzählt, vom Karneval dort, der vier Tage und vier Nächte dauerte, in dem die Busfahrer der öffentlichen Linien gegen Marihuana jeden Fahrgast unterwegs mit Mädchen versorgten, in dem Touristen ausgeraubt oder mit Rasiermesser zerschnitten wurden für ein halbes Dutzend Centavos in ihren Portemonnaies, in dem Katzen, in Supermarkt-Einkaufswagen eingesperrt, zur Belustigung der Leute über offene Feuerchen geschoben und bei lebendigem Leibe gegrillt wurden, in dem die Leute auf den Straßen mit Plastikbeuteln voller Kot, Urin oder Sperma beworfen wurden, in dem Negerkinder aus den Slums mit Luftmatratzenpumpen aufgeblasen wurden, bis ihnen der Bauchnabel aufplatzte, in dem Polizisten lachend ihre Schlagstöcke ganz in Transvestiten verschwinden ließen und in dem frisierte Wagen auf parallelen Bürgersteigen ihre Laternenslalomrennen fuhren. Sylvie selbst hatte miterlebt, wie ein öliger Galan von ihr mitten aus einer tanzenden Stadtteilprozession herausgerissen und von einer jugendlichen Bande hau-ruck hau-ruck wie ein Partywitz über ein Brückengeländer geschmissen wurde. Sie hatte bei Sylvies Erzählung große Augen gemacht, wie ein kleines Mädchen das tut bei einer Erzählung von Einhörnern, Feen, Prinzen und einem verwunschenen Schloss, und sie hatte ganz tief in sich drin ein Gefühl gehabt wie beim Anblick von schwellenden, pumpenden Muskeln. Jetzt, seit einer Woche, wusste sie, wie sie die Fabel von Barranquilla zu mehr nutzen konnte als nur zu einer Eselsbrücke während einer schlaffen Blind-Date-Abschlussnummer. Alles
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