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Hintergangen

Hintergangen

Titel: Hintergangen
Autoren: Rachel Abbott
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können. Aber ich glaube, ich weiß, was Sie gemeint haben.«
    Laura schwieg. Er verdiente es zu erfahren, doch das Entsetzen davor, die Worte auszusprechen, war noch unerträglicher als die Gedanken, die sie täglich plagten. Selbst durch die geschlossenen Augen spürte sie, wie Tom sie beobachtete, als er fortfuhr, nun etwas sanfter, weil er zweifellos ihre Unruhe bemerkte.
    »Dann werde ich es Ihnen sagen. Ich habe es schon vermutet, als ich ein Foto von Hugos Mutter gesehen habe. Wissen Sie, dass Sie ihr sehr ähneln? Wahrscheinlich sollten Sie deswegen besser kein Bild von ihr sehen. Annabel hat mir etwas gesagt … vermutlich wollen Sie das jetzt nicht hören. Ich erzähle es Ihnen trotzdem. Sie hat mir gesagt, sie habe Hugo dabei ertappt, wie er Sex mit seiner Mutter hatte. Hugo war ans Bett gefesselt, und seine Mutter saß rittlings auf ihm. Tut mir leid – das waren ihre Worte.« Tom verstummte. »Wussten Sie darüber Bescheid, Laura?«
    Sie war so tief beschämt, dass sie es nicht über sich brachte, bei ihrer Antwort Tom anzusehen.
    »Ich hatte es vermutet, aber noch nicht lange. Er hat mir erzählt, ich würde ihn an jemanden erinnern, und dann waren da diese Sachen, die ich für ihn tragen sollte, wenn wir Sex hatten. Nachdem ich meine Haarfarbe geändert hatte, hat er mich sogar eine Perücke tragen lassen – mit langem rotem Haar natürlich. Die hat er mir immer aufs Bett gelegt.«
    Sie erinnerte sich an den Tag, als sie auf dem Dachboden die Perückenschachtel entdeckt hatte. Das war aber erst nach ihrer Rückkehr von ihrem ersten Aufenthalt im Pflegeheim gewesen. Inzwischen hatte Hugo nicht mehr erwartet, dass sie seine Sexspielchen mitmachte. Weil sie die Perücken aber wiedererkannte, hatte sie Mrs   Bennett danach gefragt. Als die freundliche Frau ihr erklärt hatte, wem sie gehörten, hatte Laura einen dermaßen abgrundtiefen Ekel verspürt, dass sie sich fast das Leben hatte nehmen wollen. Das Entsetzen über die Erkenntnis, wessen Double sie in all den Jahren gewesen war, hatte beinahe den letzten Rest ihres Willens zerstört. Doch inzwischen hatte es keine Alternativen mehr gegeben. Sie war nur noch wegen Alexa geblieben.
    Tom stand auf und durchquerte das Zimmer. Er setzte sich neben Laura auf das Sofa und nahm ihre Hände in seine. Jede Spur von Wut und Frustration war verflogen. Sanft massierte er mit den Daumen ihre Handrücken, während er sprach.
    »Auf der Fahrt nach Dorset hat mir Beatrice erzählt, dass es eine Art Familientradition gibt, nach der ein Kind von einem Elternteil nach und nach abgerichtet wird. Das fängt damit an, dass man vom frühesten Alter an das Bett teilt und immer nackt schläft. Die Berührung des erwachsenen Körpers fühlt sich mit der Zeit vertraut und sicher an. Während das Kind immer mehr sensibilisiert wird, kommen Schmusen und Anfassspiele dazu. Wenn es für alt genug erachtet wird, binden sie das Kind am Bett fest – tun so, als wäre es nur zum Spaß. Kurz nach der Pubertät fängt der Elternteil dann an, mit dem Kind Sex zu haben.« Tom schwieg. Laura suchte in seinen Augen nach Zeichen von Abscheu, sah jedoch nichts als Mitgefühl. »Laut Beatrice kann diese Beziehung bis weit ins Erwachsenenalter andauern, was bei Hugo und seiner Mutter offenbar der Fall war. Was ich nicht verstehe: Wenn er Sie als Ersatz für seine Mutter angesehen hat, wieso sind Sie dann bei ihm geblieben? Und warum zum Teufel haben Sie den Dreckskerl überhaupt geheiratet?«
    Seine Worte waren harsch, anders als sein Tonfall. Sein Abscheu war für Hugo reserviert, stellte Laura erleichtert fest. Sie zwang sich, Tom direkt in die Augen zu schauen. Er sollte wissen, dass sie ihm die Wahrheit sagte, so widerwärtig sie auch sein mochte.
    »Ich glaube schon, dass Sie es verstehen, jedenfalls das meiste. Bevor wir geheiratet haben, war Hugo charmant und zuvorkommend. So einem Mann war ich noch nie im Leben begegnet.«
    Laura hielt einen Augenblick inne.
    »Ich hatte mal einen Film über Missbrauch gedreht, und jemand hat mir erzählt, ich hätte in Wirklichkeit keine Ahnung von dem Thema. Inzwischen weiß ich genau, was sie damit gemeint hat. Es geht nicht nur um klar definierte Übergriffe, wie etwa körperliche Grausamkeit oder Drohungen. Da ist der Unterschied zwischen richtig und falsch nämlich leicht zu erkennen, auch wenn viele missbrauchte Menschen nicht immer danach handeln. Es ist die langsame, stetige Zerstörung des Selbstwertgefühls, die viel unheimlicher und
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