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Hinter der Tür

Hinter der Tür

Titel: Hinter der Tür
Autoren: Henry Slesar
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hatten immer Glück in der Familie – nur Mädchen. Aber bis auf Emily sind meine Schwestern schon tot. Er hieß Piers. Komischer Name für einen Jungen, nicht wahr? Und er hatte nur Unsinn im Kopf, obwohl oben seine tote Tante lag, eine schreckliche Respektlosigkeit.«
    Jetzt verbarg Vanner sein Lächeln hinter der Teetasse. »Waren sie denn lange hier? Miss Gunnersons Verwandte?«
    »Kaum einen Tag. Nur lange genug, um die arme Frau zu beerdigen, dann fuhren sie nach London zurück.«
    »An dem gewissen Abend waren also nicht viele Menschen im Haus?«
    »Nein, es war schrecklich leer und einsam hier, das kann ich Ihnen sagen. Den ganzen Tag lang waren Leute gekommen, um zu kondolieren. Aber am Abend waren alle fort, sogar die beiden Dienstboten, das Mädchen für oben und das Mädchen für unten, Jenny und Missy hießen sie. Sie mußten so fürchterlich weinen, daß Mr. Swann beide nach Hause schickte. Und natürlich wurden sie nicht mehr gebraucht, als Gail dann so krank wurde und das Haus fast sechs Jahre lang zu war, ehe sie das Heim wieder verlassen durfte …«
    »Erzählen Sie mir von dem Jungen«, sagte Vanner.
    »Er scheint einen großen Eindruck auf Sie gemacht zu haben.«
    »Ich hätte lieber einen Eindruck auf ihn gemacht, wenn Sie verstehen, was ich meine. Nämlich auf seine Kehrseite. Er lief nur überall im Haus herum und rutschte das Geländer herunter, als war er in einem Vergnügungspark.«
    »Kleine Jungen wissen doch noch nichts vom Tode, oder? Kleine Mädchen ebensowenig.«
    »Nein«, sagte Mrs. Bellinger betrübt. »Wahrscheinlich kann man den Kindern nicht vorwerfen, daß sie so sind. Erst die Erwachsenen machen so großes Aufhebens davon. Ich meine, der Tod selbst ist ja gar nicht so schlimm, nicht wenn man an die Ewige Erlösung glaubt, aber ich hasse das ganze Drumherum, das Einbalsamieren und so weiter.« Sie erschauderte.
    Vanner gähnte; er verlor langsam das Interesse. Aber jetzt beschloß Mrs. Bellinger sich auch eine Tasse Tee einzugießen.
    »Ich werde diesen Shanks nie vergessen«, sagte sie. »Er sah aus wie der leibhaftige Tod. Gails Onkel muß sich wirklich große Mühe gegeben haben, für die häßliche Arbeit einen so häßlichen Mann zu finden.«
    »Wen?«
    »Shanks, den Leichenbestatter. Er ist an dem Abend gekommen, um die arme Mrs. Gunnerson zu holen. Der Mann sah schon beim ersten Besuch so fies aus, aber als er dann wiederkam, wo es schon fast Mitternacht schlug und ich allein im Haus war – ich kann Ihnen sagen! Das hat gereicht, um mir noch tagelang eine Gänsehaut zu verschaffen, der bloße Anblick dieses häßlichen Kerls an der Tür.«
    »Fast Mitternacht? Seltsamer Zeitpunkt, eine Leiche abzuholen.«
    »Nein, ich glaube, zum erstenmal war er gegen sieben Uhr da, vielleicht sogar schon um halb sieben. Er kam in derselben Nacht zurück, weil er etwas vergessen hatte – seine Aktentasche. Er sagte, er hätte das Ding im Wohnzimmer stehen lassen. Ich machte gerade für Gail etwas Milch heiß und wollte nicht, daß sie überkochte; ich sagte ihm also, er solle selbst danach suchen und dann wieder gehen. Seltsam, daß man sich nach so vielen Jahren noch an diese Kleinigkeiten erinnert. Möchten Sie noch etwas Tee?«
    »Nein«, sagte Vanner und legte die Hand über seine leere Tasse. Seine Müdigkeit war zurückgekehrt. Er stand auf und reckte die verkrampften Rückenmuskeln. Der Tag war zu anstrengend gewesen. »Ich muß jetzt aber wirklich gehen, Mrs. Bellinger. Tut mir leid wegen der Schlaftablette.«
    »Schon gut, ich hätte gar nicht erst fragen dürfen. Und wissen Sie was? Dieser Shanks hat seine Tasche gar nicht gefunden! Ich fand sie am nächsten Morgen in Mrs. Gunnersons Zimmer. Als ich hinaufging, um das Totenbett der armen Frau zu machen.«
    »Er ist also gegangen, ohne sie mitzunehmen?«
    »Ja, er hat den ganzen weiten Weg umsonst gemacht. Und nur wenige Minuten nachdem der Mann gegangen war, begann das Kind zu schreien. Das schreckliche Geschrei!«
    Vanner blieb stehen und sah zu, wie sie die dampfende Tasse an die Lippen setzte. Er schaute auf seine leere Tasse und auf die Teeblätter, betrachtete das Muster wie ein Zigeuner, der nach Zukunftszeichen forscht. »Haben Sie gehört, wie er gegangen ist?« fragte er.
    »Ja. Ich hörte die Vordertür zufallen. Ich weiß noch, wie ich gedacht hab, daß das ja ziemlich unverschämt war, so laut mit der Tür zu knallen.«
    »Sie haben also nicht gesehen, wie er zur Tür hinausging?«
    »Nein, ich war hier. In der
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