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Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Titel: Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)
Autoren: Alexa von Heyden
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Hand vor Mund und Nase. Dann holt er einen Eimer mit Wasser und den Wischmopp und wischt die Sauerei auf. Ich knie auf dem Boden und versuche, mit Küchenpapier zu helfen. Mir wird schwarz vor Augen.
    »Was hast du gegessen?«, fragt mich Magnus, während er mit angewidertem Gesicht den Mopp in das Wasser tunkt.
    »Nichts«, jammere ich auf allen vieren.
    »Seit wann?«
    Ich muss überlegen. Das letzte Mal war das Gulasch bei meiner Mutter.
    »Seit zwei Tagen. Ich hab’s vergessen.«
    Magnus schaut mich mal wieder an, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. »Ab ins Bett. Du schläfst dich aus. Ich mach Kartoffelbrei.«
    Ich stehe vor einem grünlichen Wohnhaus, dessen Fassade von riesigen Bäumen aufgefressen wird. Das Klingelbrett ist wegen der dichten Äste kaum zu erreichen, aber ein Schild ist auf Hochglanz poliert. Das von Lamai. Ich drücke auf die Klingel, einmal kurz, einmal lang. Das Schloss surrt, ich werfe mich gegen die Tür und stehe in einem dunklen Hausflur. Von oben im Treppenhaus ruft eine männliche Stimme zu mir runter: »Hallo! Wir sind hier oben!« Die Wurzeln der Bäume wachsen durch die Wände und krallen sich am Treppengeländer fest. Der Boden ist glitschig. Während ich die Stufen zu den oberen Stockwerken erklimme, höre ich, wie ein Mann mit einer Frau redet. Meine Beine sind so geschwollen, dass man meine Knöchel nicht mehr erkennt. Ich komme kaum die Treppen hoch und kann nicht verstehen, was die beiden erzählen. Plötzlich beugt sich ein junger Typ von oben über das Geländer.
    »Hi!«, sagt er.
    »Hi …«, antworte ich und bleibe auf der Treppenstufe stehen.
    Was für ein hübscher Kerl. Ich starre ihn an, als sei er ein weißer Elefant. Er lacht mich mit seinen Perlenzähnen an und winkt mich heran. Er nickt immer wieder mit seinem Kopf und lacht. Ich kann nicht glauben, was mir in den Sinn kommt. Heiliger Bimbam, ich kenne diese Augen! Auf meiner Stirn bildet sich eine einzelne Schweißperle.
    »Komm rein, das ist auch dein Zuhause«, sagt er und zeigt auf meine Füße, was wohl heißt, dass ich meine Schuhe ausziehen soll. Während ich eine halbe Ewigkeit unbeholfen an den Verschlüssen meiner Sandalen fummle, stehen er und Lamai vor mir. Sie nimmt meine Hand und führt mich durch einen engen Flur in ein winziges Zimmer mit einem Tisch in der Mitte, über dem eine nackte Glühbirne brennt. Der junge Mann folgt uns und legt wie bei einer Polonaise seine Hände auf meine Schultern. Wir setzen uns. Lamai serviert Reis und Würstchen. Ich starre den jungen Mann an und er mich ebenso.
    »Deine Haare sind wie Gold«, sagt er. Er nimmt eine meiner Haarsträhnen und zieht sie sanft zwischen seinen Fingern hindurch. Das Essen riecht gut.
    Magnus sitzt auf der Bettkante und schwenkt einen Teller vor meiner Nase hin und her. Ich richte mich auf und spachtle den warmen Kartoffelbrei in mich hinein.
    »Der kommt nicht aus der Tüte, sondern ist aus echten Kartoffeln. Habe ich für dich gemacht. Mit ein bisschen Butter.«
    »Danke fürs Kochen, Mama«, lobe ich ihn mit vollen Backen.
    »Du hast im Schlaf geredet.«
    »Was habe ich gesagt?«
    »Bruder.«
    Ich lasse den Löffel in den Brei sinken.
    »Ich habe geträumt, dass Lamai einen Sohn hat.«
    »Und der ist dein Bruder?«, Magnus klingt so, als hätte ich gerade verkündet, dass ich mit Prinz Charles verwandt sei.
    »Könnte doch sein, oder? Ich meine, keiner weiß, was damals alles passiert ist.«
    »… und was nicht passiert ist.« Magnus schüttelt den Kopf und fängt an, mit seiner rechten Hand meine linke Schulter zu kneten.
    »Ich habe mir überlegt, dass wir nach deiner Prüfung keinen Urlaub machen, sondern …«
    »Wehe, du sagst ab!«
    »… gleich ein paar Monate um die Welt reisen sollten.«
    »… ein paar Monate?«, wiederhole ich ungläubig.
    »Ja, wenn wir schon mal da sind, würde ich gern mehr von Asien sehen: nicht nur Thailand und Kambodscha, sondern auch Myanmar, Malaysia und Indonesien. Auf Bali könnten wir einen Surfkurs machen und dann mit dem Rucksack weiter nach Australien, Neuseeland …«
    »Das meinst du nicht ernst!«, rufe ich und springe mit einem Satz auf die Füße. Meine Beine sind klapprig und ich muss mich an Magnus festklammern.
    Ich hatte ihm irgendwann in einem weinseligen Moment erzählt, dass ich gern surfen lernen würde, aber nicht Windsurfen, so wie mein Vater, sondern Wellenreiten. Das ist mein größter Traum. Die Urne meines Vaters hat sich ja unter Wasser geöffnet.
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