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Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Titel: Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)
Autoren: Alexa von Heyden
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Theoretisch ist er also über alle Weltmeere verteilt, wenn auch nur in homöopathischen Dosen. Mein Vater ist überall da, wo Wasser ist. Er ist nicht hinter dem Blau – er ist im Blau. Den Gedanken finde ich viel schöner, als einem nicht vorhandenen Grab hinterherzutrauern. Wann immer ich ihn vermisse, könnte ich surfen gehen und würde so etwas mit ihm zusammen unternehmen. Und wenn ich wieder sauer auf ihn werde, könnte ich mich im Meer austoben. Mein Vater würde aufpassen, dass ich nicht ertrinke oder in einen Seeigel falle. Das klingt sentimental, aber es gibt viele Leute, die sagen, dass Homöopathie wirkt.



 
    Die schwere Tür der Aula fällt hinter mir ins Schloss. Meine Kommilitonen schauen mich gespannt an. Zwei Mädchen, die vor mir dran waren – die eine hat über Stilikonen referiert, die andere über Frauen im Hip-Hop –, schenken Sekt in einen Plastikbecher ein.
    »Und wie war es?«, fragen alle unisono.
    »Gut.« Ich habe mich in der Dreiviertelstunde nicht einmal verhaspelt, was kein Wunder ist, so viel und so lange wie Magnus und ich vorher geübt haben. Der schriftliche Teil war einfach, aber bei der »Generalprobe« für die Präsentation vor zwei Tagen bekam ich Zweifel, ob das Thema gut ankommen würde.
    Die Tür geht auf und die Prüfer treten auf den Flur.
    »Wir brauchen eine Pause vor dem nächsten Absolventen«, sagt der Professor in die Runde.
    »Frau Schulz, ich bin beeindruckt.« Meine Kommilitonen nicken anerkennend.
    Dass sich mein Vater das Leben genommen hat, habe ich bei der Präsentation nicht erwähnt, aber jeder hat gemerkt, dass ich versuche, etwas zu begreifen, was sich nie begreifen lässt. Mit zitternder Hand führe ich den Pappbecher zum Mund und nehme einen Schluck lauwarmen Sekt. Ich bin stolz auf mich – ein Gefühl, an das ich mich gewöhnen muss.
    Magnus sitzt auf den Treppenstufen in der Sonne. Er trägt ein hellblaues Hemd und hält einen Umschlag in den Händen. Ich setze mich neben ihn und schließe die Augen. Wir sagen eine Weile nichts. Dann stupst er mich mit dem Ellenbogen an und reicht mir den Umschlag.
    »Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Prüfung. Das ist mein Geschenk«, sagt er feierlich.
    Ich betaste den Umschlag nach seinem Inhalt. Es fühlt sich nicht wie eine Karte an, auch nicht wie Schmuck.
    »Was ist das?«
    »Dein Traum.«
    Ich reiße den Umschlag auf und hole ein gefaltetes Stück Papier heraus. Als ich es auseinanderfalte und das erste Wort lese, falle ich Magnus um den Hals. Dann springe ich auf, breite meine Arme zu beiden Seiten aus und fliege über den Platz vor der Uni. Ich drehe Runde um Runde, Acht um Acht. Magnus sitzt auf den Stufen und lacht. Das erste Wort auf dem Blatt lautet »Buchungsbestätigung«.
    Eddy, der Manager des Hotels, bringt uns jeden Morgen das Frühstück auf die Veranda des kleinen Bungalows, den Magnus und ich für die nächsten Tage gemietet haben. Wie alle hier läuft er barfuß. Schon von weitem kann ich die Kanne Tee sehen, die er auf einem Tablett über seinem Kopf trägt und die bedrohlich hin und her schwankt, aber doch nie runterfällt. Zum Tee gibt es Toast und Papaya-Marmelade, die Eddy selbst kocht. Ich frage ihn, wie er diese Köstlichkeit zubereitet, und er meint, man brauche nicht viel dazu: eine gute Papaya und einen Topf.
    Neben uns wohnt ein Pärchen aus Hamburg, Anton und Valentin. Wir haben uns mit ihnen angefreundet und tauschen immer die Pläne aus, die wir für den jeweiligen Tag gemacht haben. Für die nächsten drei Monate wird mein Plan jeden Tag derselbe sein: mal gucken. Nach der bestandenen Prüfung will ich mich treiben lassen. Meine Arbeit wurde mit einer 1,4 benotet, es war die zweitbeste Note in diesem Jahrgang. Was ich nach dieser Auszeit beruflich machen will, weiß ich nicht. Ich hoffe, dass mir meine Zukunft unterwegs wie ein kleiner Vogel zufliegt.
    Magnus studiert jeden Tag den Reiseführer, aber wann und wohin es weitergeht, haben wir noch nicht entschieden. Es kommt darauf an, wann wieder ein Boot auf die Insel kommt. Meine Seele baumelt, ich weiß nicht, ob Mittwoch oder Donnerstag ist. Etwa schon Freitag? Keiner von uns hat ein Handy dabei, die Telefone liegen zusammen mit unseren Uhren, Kreditkarten und Pässen in einem Safe an der Rezeption. Alles ist wunderbar einfach.
    Wenn die Sonne untergeht, schlendern wir vom Strand zurück zum Bungalow, waschen das Salz von unserer Haut und gehen später irgendwann essen. Es gibt eine Bude und zwei Gerichte: Reis mit
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