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Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)

Titel: Hinter dem Blau: Ein kleines Mädchen verliert seinen Vater. Eine junge Frau findet zu sich. (German Edition)
Autoren: Alexa von Heyden
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regnet. Ich steige in ein Flugzeug mit einem dicken weißen Bauch. Beim Start rappeln die Flügel, so als könnten sie gleich abbrechen. Ich bin der einzige Passagier. Kaum ist das Flugzeug durch die Wolken gestiegen, tut sich mir vor meinen Augen der schönste Ausblick auf: ein von der Abendsonne rosa gefärbter Wolkenteppich, blauer Himmel und eine unendliche Weite, von der ich nicht glauben kann, dass sie jemals endet. Ich hüpfe auf den weißen Bergen herum und muss nichts tun. Ich bin frei.
    Eine Amsel zwitschert. Ich wache auf, immer noch den Walkman-Hörer auf dem Kopf. Es dämmert. Magnus hat sich im Schlaf gedreht und schnarcht jetzt in Richtung des halb geöffneten Fensters. Ich robbe nah an ihn heran und schlinge meinen Arm um seinen Bauch, sodass wir in der Löffelchenstellung daliegen. Sein Brustkorb geht regelmäßig auf und ab, ich versuche, meine Atmung an die Bewegung anzupassen, und inhaliere dabei den Duft seiner Haut. Auch ein Rhythmus. Magnus riecht wie frisch gebackene Kekse, ich grabe meine Nase tief in seinen Nacken – vielleicht erklärt das all unser Glück. Noch ein Stündchen, dann müssen wir aufstehen.
    Ich laufe barfuß eine Straße entlang. Die Reisfelder im Tal sehen aus wie Gottes Murmelbahn. Mittendrin stehen Reiher und strecken ihre Schnäbel in die Luft, wo Schmetterlinge flattern, deren Flügel so groß wie Brotscheiben sind. Dann sehe ich Kinder, die mit Krücken über die Straße humpeln.
    »Wo ist das Krankenhaus?«, frage ich einen Jungen mit nur einem Bein.
    »Nicht weit«, antwortet er. »Bist du die Tochter vom Doktor?«
    Eiskalte Luft. Ich stehe in der großen hellen Empfangshalle eines Krankenhauses.
    »Ich suche eine Freundin«, sage ich zu dem Portier am Tresen.
    Hinter ihm steht die Tür zu einem Büro offen, an dessen Wand ich einen Arbeitsplan entdecke. An erster Stelle steht »Lamai«, daneben eine Fünf. Bing – hinter mir öffnet sich die Tür eines Aufzugs. Ich hechte hinein. Bing – die Tür schließt sich wieder. Ich zähle die Knöpfe für die Stockwerke von unten nach oben durch und drücke auf den fünften.
    Einen Moment lang denke ich daran abzuhauen, einfach zu gehen und alles so zu lassen, wie es ist. Ich würde einfach verschwinden, mit niemandem sprechen und all meine Fragen blieben unbeantwortet, so wie viele Fragen im Leben unbeantwortet bleiben.
    Auf dem Gang steht ein klappriges Geschirrwägelchen mit schmutzigen Tellern.
    »Kann ich Ihnen helfen, Miss?«, ruft eine Frauenstimme hinter mir.
    Ich bleibe stehen, drehe mich aber nicht um.
    »Hallo?«, fragt sie freundlich, aber forsch. »Suchen Sie jemanden?« Die Stimme kommt näher.
    Ich drehe mich um und sage: »Ich suche dich, Lamai.«
    Vor mir steht eine knuffige ältere Frau. Die Lachfältchen um ihre Augen sehen nett aus. Sie trägt ein langes blaues Gewand und hat die Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden.
    »Wer bist du?«, fragt sie mich und legt den Kopf zur Seite.
    »Mein Name ist Sunny Schulz, ich komme aus Deutschland. Du kennst meinen Vater aus Khao-I-Dang.«
    Lamai schnappt wie ein Fisch nach Luft. Als Beweis reiche ich ihr den Zeitungsartikel über meinen Vater.
    »Ist er auch hier?«, fragt sie.
    »Irgendwie schon«, antworte ich.
    Ich schieße aus dem Bett hoch. Magnus liegt nicht mehr neben mir. Aus der Küche höre ich das Röcheln der Kaffeemaschine.
    Was ist, wenn Lamai noch lebt, aber gar nicht weiß, dass mein Vater tot ist, und sie hofft, ihn eines Tages wiederzusehen? In diesem Moment bereue ich die Entscheidung, nicht nach Asien zu fahren, kein bisschen. Ich habe noch nie jemandem eine Todesnachricht überbringen müssen. Magnus kommt mit einem Handtuch um die Hüften gewickelt ins Zimmer, auf seinem Rücken perlen Wassertropfen.
    »Wie siehst du denn aus?«, fragt er.
    »Guten Morgen …«
    »Hast du nicht geschlafen?«
    »… eher wild geträumt.«
    Ich rapple mich auf, schlurfe in die Küche und suche in den Schränken nach einer Kopfschmerztablette zum Auflösen. Mein Schädel brummt, gleichzeitig ist mir flau.
    »Soll ich dir Frühstück machen? Du brauchst was im Magen, wenn du Aspirin trinkst und nachher deine Arbeit schreiben willst. Ich muss den ganzen Tag in die Uni, du hast hier also deine Ruhe.«
    »Ich gehe gleich wieder ins Bett.«
    »Kein Rührei mit Tomate?«
    »Mir geht’s nicht gut …« Im nächsten Moment kotze ich mit einem fürchterlichen Würgegeräusch auf den Küchenboden, kein halb verdautes Essen, sondern nur Magensäure. Magnus hält sich die
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