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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen
Autoren: Donna Leon
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wirkten
unversehrt, offenbar seien die Truhen seit Jahrhunderten verschlossen.
    Caterina bemerkte leichthin, das alles klinge sehr interessant und
für einen Wissenschaftler geradezu faszinierend. Dabei ging sie im Kopf bereits
die Namen von einschlägigen Komponisten durch, aber da ihr weder der Geburtsort
bekannt war noch der Ort, an dem er gestorben war – oder gelebt hatte –, kam
sie mit ihren Überlegungen nicht weiter.
    Immerhin hatte sie scheinbar einen guten Eindruck gemacht, denn
Moretti erklärte, er wolle sie am Nachmittag gern [19]  mit zwei Herren bekannt
machen, die sie bitte mit allem Respekt behandeln möge. Eins sei jedoch
Vorbedingung: Anhand der Namen der beiden könne sie auf die Identität des
Komponisten schließen, er verlasse sich darauf, dass sie dem nur nachgehen
werde, falls man sich für sie entscheide; dies hätten sich, kam er ihrer Frage
zuvor, die beiden mutmaßlichen Erben, »Männer, die einigen Wert auf
Geheimhaltung legen«, so ausbedungen.
    Caterina sicherte dies zu.
    Am Nachmittag war sie dann den beiden konkurrierenden Erben
nacheinander vorgestellt worden. Treffpunkt war die »Bibliothek«, ein Raum, in
dem die Libretti und Partituren der Lieblingsopern und -orchesterwerke von
Signor Dardago als Abschriften aufbewahrt wurden. In der Bibliothek gab es
außer einem großen Tisch einige Regale, in denen jene Abschriften nicht länger
Anstalten machten, aufrecht zu stehen. Es gab auch ein paar vereinzelte Bücher,
darunter einen historischen Roman über einen Kastraten.
    Die beiden hätten auf Caterina durchaus wie Ehrenmänner gewirkt,
wenn nicht Caterinas Eltern, bei denen sie während der Bewerbung untergekommen
war, ihr am Abend zuvor in bester venezianischer Tradition berichtet hätten,
was über die zwei Männer in der Stadt geklatscht wurde.
    Franco Scapinelli besaß vier Läden mit Glaswaren rund um den
Markusplatz. In Tat und Wahrheit war er – wovon im Verlauf des Vorstellungsgesprächs
allerdings keine Rede war – wegen Wucherei vorbestraft und durfte in der Stadt
kein eigenes Geschäft betreiben. Aber wer konnte einem Mann schon verbieten,
seinen Söhnen zur Hand zu gehen? Welches Gesetz der Welt?
    [20]  Der andere, Umberto Stievani, besaß sieben Wassertaxis,
versteuerte aber einem Freund von Caterinas Vater zufolge – der es von einem
Freund bei der Guardia di Finanza wusste – jährlich gerade mal elftausend Euro.
Und seine zwei Söhne, die als Bootsführer für ihn arbeiteten, verdienten
zusammen noch weniger.
    Beide Männer bekundeten ihr großes Interesse an den Handschriften
und allem Übrigen, was sich in den Truhen befinden mochte, doch Caterina
erkannte schnell, dass dies nicht der historischen oder musikwissenschaftlichen
Bedeutung galt. Beide hatten sich erkundigt, ob Manuskripte wertvoll seien, das
heißt, ob jemand so etwas kaufen würde. Stievani, der ja viel mit Taxifahrern
zu tun hatte, fragte unverblümt in Veneziano nach dem Wert in barer Münze: »Valgono schei?«
    Und nun, keinen Monat später, stand sie hier, nachdem sie Job und
Wohnung in Manchester gekündigt hatte, in einem Büro der Fondazione Musicale
Italo-Tedesca und konnte es kaum erwarten, an die Arbeit zu gehen. Endlich
wieder daheim in Venedig mit seinen vertrauten und so wohltuenden Geräuschen
und Gerüchen.
    Sie ließ den Blick durch das Zimmer schweifen. Hinter dem
Schreibtisch, links vom Fenster, hingen in unregelmäßiger Reihe drei kleine
Kupferstiche. Sie trat näher und betrachtete die Perückenmänner in ihren
Ikea-Plastikrahmen. Apostolo Zeno identifizierte sie an der lang
herunterhängenden Perücke und dem langen weißen Schal, der unter seinen
Gewändern hervorschaute. Händel hatte sie schon so oft gesehen, dass er ihr wie
ein alter Bekannter vorkam. Und links hing Porpora, der aussah, als trage er
eine [21]  Perücke von Bach und das Wams einer Marineuniform. Armer alter Porpora:
Es so weit zu bringen, und dann mittellos zu sterben.
    Caterina inspizierte das Fenster. Nicht größer als einer der
Kupferstiche, fünfzehm mal zwanzig Zentimeter, war es das kleinste Fenster, das
sie je gesehen hatte. Womöglich war es gar das kleinste Fenster der Stadt.
    Sie drückte die Nase ans Glas und erspähte die Fensterläden der
Wohnung auf der anderen Seite der calle: grün,
verwittert, geschlossen, als schliefen die Bewohner noch. Es war zehn Uhr
morgens, eine Zeit, zu der ehrbare Leute – »gente per bene«, hörte sie die Stimme ihrer Großmutter sagen – längst
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