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Himmlische Juwelen

Himmlische Juwelen

Titel: Himmlische Juwelen
Autoren: Donna Leon
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Eindruck das auf sie machte, und sein Lächeln kehrte
zurück, als seien sie sich einiger denn je. »Recherchen. Neue Dokumente.« Er
merkte, wie sie darauf ansprang, und sah kurz in die Richtung des Dekans am
Ende der Tafel. »Wollen Sie so enden wie er?«
    Neugierig geworden, sagte sie aufmunternd: »Erzählen Sie mehr.«
    Er ging nicht darauf ein, spähte vielmehr nach den Flaschen auf der
Anrichte. Womöglich hatte er bereits jenen Punkt erreicht, an dem es kein
Zurück mehr gab.
    Er stellte sein leeres Glas neben das volle seiner rechten [13]  Tischnachbarin,
die sich angeregt unterhielt, und tauschte die Gläser.
    »Idioten«, platzte es ziemlich laut aus ihm heraus, doch da sie
Italienisch sprachen, gingen in seinem schleppenden Tonfall wenigstens die
harten Konsonanten unter. Niemand drehte sich nach ihm um.
    Caterina beobachtete verblüfft, wie er den Rand des vertauschten
Glases erst mit der Serviette abrieb, ehe er sich einen ausgiebigen Schluck
genehmigte.
    Da das Glas schon fast wieder leer war, goss sie kurzentschlossen
den Rest ihres Weißweins zu seinem Roten.
    Er nickte. Sein Lächeln verschwand. »Ich will nicht. Sie
vielleicht?«, murmelte er.
    »Was denn?«, fragte sie verwirrt. Meinte er ihren Wein?
    »Hab ich doch gesagt«, antwortete er und sah sie scharf an. »Hören
Sie nicht zu? Nach Venedig. Ich hasse die Stadt.«
    Also war es doch die Fondazione, die sie kannte: ein Job in Venedig,
zu Hause. Doch wie bedeutend konnte diese Einrichtung schon sein, von der sie
außer dem Namen nie etwas gehört hatte? Italiener schätzten den Barock nicht
weiter. Nein: Für die zählten nur Verdi, Rossini und – Gott steh mir bei,
dachte sie, während ihr eine fallende Kadenz den Rücken hinunterlief – Puccini.
    »Sie sprechen von Venedig? Die Stelle ist in Venedig?« Sein Blick
hatte sich während ihrer Unterhaltung immer mehr eingetrübt, und sie wollte
sich erst Gewissheit verschaffen, ob er nicht phantasierte, ehe sie zu hoffen
wagte.
    »Furchtbares Kaff«, sagte er und verzog das Gesicht. »Entsetzliches
Klima. Grauenhaftes Essen. Touristen. T-Shirts. Tattoos.«
    [14]  »Sie haben abgelehnt?«, fragte sie mit ungläubigem Staunen.
    »Venedig«, wiederholte er und spülte das Wort angewidert hinunter.
»Nach Treviso würde ich gehen, nach Castelfranco. Friaul. Guter Wein.« Er
starrte sinnend in sein Glas, als könne der Rest ihm sagen, wo er herstammte;
und als er keine Antwort bekam, wandte er sich wieder Caterina zu. »Sogar nach
Deutschland. Ich mag Bier.«
    Caterina, die schon so viele Jahre unter Akademikern verbracht
hatte, zweifelte keine Sekunde, dass dies ein Entscheidungskriterium war.
    »Warum ich?«, fragte sie nur.
    »Sie sind nett zu mir gewesen.« Sprach er von dem halben Glas
Weißwein, oder meinte er, dass sie ihn mit Respekt behandelt und ihm
gelegentlich zugelächelt hatte? Wie dem auch sei. »Und Sie sind blond.« Das war
immerhin nachvollziehbar.
    »Würden Sie mich empfehlen?«, fragte sie.
    »Wenn Sie mir eine Flasche Roten von der Anrichte holen.«

[15]  2
    Große Veränderungen haben sich schon auf seltsamere Weise
angebahnt, dachte sie und riss sich von ihren Erinnerungen los. Sie war wieder
in Venedig, sie hatte den Job, der sich allerdings nur auf ein einziges Projekt
bezog. Ihr Blick wanderte durch das Büro, wo sie auf den Leiter der Stiftung
wartete. Falls man einen kleinen, dafür sehr hohen Raum mit zwei winzigen
Fenstern – eins hinter dem Schreibtisch und eins so dicht unter der Decke, dass
es zwar Licht einließ, aber keine Aussicht bot – ein Büro nennen konnte.
Schreibtisch und Stuhl wiesen darauf hin, während das Fehlen von Computer,
Telefon und sogar Papier eher an eine Mönchszelle denken ließ. Das Kabuff – in
einem zweigeschossigen ehemaligen Wohnhaus am Ende der Ruga Giuffa – ließ beide
Deutungen zu. Aber es war ein kalter Tag Anfang April, und hier drin war es
warm: also offenbar doch ein Büro, eins, das benutzt werden sollte.
    Das wenige, was sie vor der Bewerbung über die Fondazione in
Erfahrung bringen konnte, hatte sie schon auf diesen tristen Anblick
vorbereitet: Nichts in diesem Raum – und nichts, was fehlte – überraschte sie.
Dem Internet zufolge war die Stiftung vor dreiundzwanzig Jahren von Ludovico
Dardago ins Leben gerufen worden, einem venezianischen Bankier, der in
Deutschland Karriere gemacht hatte und ein leidenschaftlicher Liebhaber der
italienischen und deutschen Barockoper war. Er hatte sein Vermögen gestiftet,
um die
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