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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sich mit mir darüber austauschen zu können, und sie war an allem interessiert, was ich mir dachte. Ich erinnere mich, ihr nicht gesagt zu haben, was mir wirklich durch den Kopf ging: dass sie selbst ein Paradox war, das ich nicht auflösen konnte; die gegensätzlichen Vorstellungen, die ich von ihr hatte – sie war aufgeklärt und gläubig, unerschrocken und passiv –, widersprachen sich grundsätzlich und wollten sich nie vereinbaren lassen, so dass es mir manchmal schwerfiel, darüber nicht verrückt zu werden.
    Irgendwann sagte sie mir, sie sehe mir an, dass mir etwas auf dem Herzen liege. Ich bejahte und sprach von meinem Bedauern, an jenem Abend Imran diese Sachen über Nathan erzählt zu haben.
    »Wie oft haben wir darüber geredet, Hayat? Es ist in Ordnung. Du hast es getan. Du hast etwas daraus gelernt. So ist das Leben.«
    Ich schwieg.
    Sie fuhr fort: »Ich habe es dir schon gesagt. Du bist nicht verantwortlich für das, was mir zugestoßen ist. Es war meine eigene Entscheidung. Und alles hatte seine Gründe, Behta . Das musst du akzeptieren.«
    Weiteres Schweigen, dann sagte ich: »Es gibt noch etwas, was du nicht weißt, Tante. Etwas, was ich dir nie erzählt habe.«
    »Was meinst du?«
    »Das Telegramm. An Hamed. Das war ich. Ich habe es geschickt.«
    »Was?« Sie riss die Augen auf, dann schwieg sie. Sie brauchte eine Weile, bis sie die Antwort auf diese so lange ungelöste Frage verarbeitet hatte. »Aber woher hast du …«
    Ich beendete ihren Gedanken. »Du hattest ein Buch. Darin stand deine Adresse in Karatschi. Ich bin in die Mall gegangen und habe das Telegramm aufgegeben.«
    »Wie unternehmungslustig«, sagte sie.
    »Na ja.«
    Wieder folgte Schweigen. Mina holte tief Luft. »Deshalb hast du also immer wieder davon angefangen.«
    »Hätte ich es nicht weggeschickt, wärst du vielleicht immer noch …«
    Sie hob die Hand. »Es ändert nichts daran, Behta . Es war meine Entscheidung. Ich habe sie getroffen. Und hätte ich mich anders entschieden, hätte ich es so oder so getan.«
    »Aber warum?«
    »Warum was?«
    »Warum hast du dich nicht anders entschieden?«
    »Du könntest sagen, so bin ich eben, Hayat. Ich hatte meine Erfahrungen im Leben, und sie haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Du könntest auch sagen, es war Allahs Wille.« Sie hielt inne. »Und letztlich läuft es, egal, wie du es sehen willst, auf dasselbe hinaus …«
    »Es ist nicht dasselbe«, begann ich. Ich wollte ihr erzählen, dass ich mich seit Jahren Schritt für Schritt vom Islam entfernt hatte, bis davon kaum noch etwas übrig war.
    Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, das musste jetzt nicht sein.
    »Du sagst, Allahs Wille. Gut. Aber warum seinem Willen folgen? Damit du in den Himmel kommst? Ich meine, ist das nicht irgendwie dumm? Wäre es nicht moralischer, das Gute um seiner selbst willen zu tun? Wäre das nicht das wahre Zeichen des Guten?«
    Sie lächelte. Ich meinte sogar zu sehen, dass sie stolz war auf mich. »Ganz genau«, sagte sie.
    »Dann verstehe ich es nicht.«
    »Der Glaube hatte für mich nie etwas mit dem Leben nach dem Tod zu tun, Hayat. Es geht immer nur darum, jetzt Gott zu finden. Im Alltag. Im Hier und Jetzt. Hier mit dir. Ob ich in einem Gefängnis sitze oder in einem Schloss lebe, ob ich krank oder gesund bin, es ist alles gleich. Das lehren die Sufis. Egal, was unseres Weges kommt, alles ist ein Vehikel. Jedes einzelne Leben, groß oder klein, glücklich oder traurig, kann der Weg zu ihm sein.«
    Diese Sufi-Geschichten , dachte ich, sind nichts anderes als Märchen, die sie benutzt, um ein versöhnlicheres Licht auf ihr Leben zu werfen, das von Kummer und Leid geprägt war, Kummer und Leid, die ich und Sunil ihr zugefügt haben und die sie nicht einfach hätte ertragen, sondern denen sie hätte entfliehen sollen.
    Sie sah mir an, dass ich ihr nicht zustimmte. Sie wollte, dass ich meine Meinung äußerte.
    Also tat ich es. Ich vertrat meinen Standpunkt mit aller Entschiedenheit, die ich aufbringen konnte. Demütigung, sagte ich ihr, sei ein Vehikel, das zu nichts anderem als sinnlosen Verletzungen führe. Wer etwas anderes behaupte, würde nur zulassen, dass in dieser kummervollen, leidgeplagten Welt alles seinen üblichen Gang gehe, ohne Verbesserung, ohne Erlösung.
    Ich wurde dabei das Gefühl nicht los, dass sie jeden Augenblick genoss: unsere Diskussion, meine Leidenschaft und Empörung und auch den Apfelsaft, den sie langsam trank.
    Schließlich stellte ich ihr die Frage, so
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