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Himmelssucher - Roman

Himmelssucher - Roman

Titel: Himmelssucher - Roman
Autoren: carl's books Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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erinnert, was ich getan hatte. Ich konnte den unbeschwerten amerikanischen Jugendlichen spielen, der auf eine leuchtende Zukunft blickte – unbeeinträchtigt von meinen muslimischen Lehrjahren, in denen ich die Unumgänglichkeit von Schmerz beigebracht bekommen hatte. Ich sorgte mich um meinen Haarschnitt oder meine Jeansmarke. Ich hörte, wenn ich im Bus zur Schule fuhr, auf meinen Walkman die neuesten Alben von U2 und R.E.M. Aber der Schatten von Minas Unglück war nie weit. Ich mochte auf Begnadigung gehofft haben, allerdings musste ich nicht Emerson lesen, um zu wissen, dass ich solche Gnade nicht verdient hatte. Im Gegenteil: Was ich getan hatte, verband mich so sehr mit ihr, dass ich es nicht einfach hinter mir lassen konnte. Außerdem war Mutters Leben zu sehr mit dem von Mina verwoben. Wenn Mutter, niedergedrückt von den neuesten Horrorgeschichten aus dem Leben ihrer Freundin, zu Hause wieder einmal in Trübsal verfiel, konnte sie sich natürlich nicht an Vater wenden. Sie hatte nur mich. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zuzuhören.
    Nach einem zweiten Bankrott verkaufte Sunil seine Praxis, um die Schulden zu begleichen, und war daraufhin gezwungen, das einzige Angebot anzunehmen, das ihm unterbreitet wurde: eine untergeordnete Stelle in einer Arztpraxis. Unfähig, sich in die Hierarchie einzufinden und sich den damit einhergehenden Enttäuschungen zu stellen, wurde Sunil selbstmordgefährdet. Eines Abends schluckte er sämtliche Tabletten aus Minas Valiumflasche – seit ihrer Nikah bekämpfte sie damit ihre Ängste – und wäre daran unweigerlich gestorben, hätte er ihr vor dem Einschlafen nicht alles gebeichtet. Mina rief den Krankenwagen und mühte sich ausnahmsweise einmal nicht mit der Burka ab, als sie ihn ins Krankenhaus begleitete, wo ihm der Magen ausgepumpt wurde. Mina und Mutter konnten sich nicht darauf einigen, welche Bedeutung sie Sunils Selbstmordversuch zuschreiben wollten. Mina hielt ihn für einen Hilfeschrei. Mutter war der Ansicht, es wäre nur ein weiterer, boshafter Versuch gewesen, um ihr Angst einzujagen und sie noch gefügiger zu machen. Was Sunil als Nächstes tat, bestätigte, dass sie beide recht hatten.
    Er besorgte sich eine Waffe, die – wie Mutter meinte – gegenüber Tabletten den Vorteil hatte, dass sie ihm ungeteilte Aufmerksamkeit verschaffte, ohne dass er dafür in die Notaufnahme eingeliefert werden musste. Jetzt musste er nur noch mit der Pistole herumfuchteln und sie sich an die Schläfe halten, damit Mina vor ihm auf die Knie fiel – was sie mehr als einmal tat – und ihm sagte, dass er ihr Herr und Meister sei.
    Dann fing Sunil an, die Waffe mit an den Esstisch zu nehmen. Er legte sie neben seinen Teller. Das beruhige ihn, sagte er. Damit werde ihr »loses Mundwerk« in Zaum gehalten. Gefiel ihm nicht, was sie sagte, musste er nur die Pistole nehmen und sie sich an den Kopf halten oder – was immer häufiger vorkam – auf sie richten. Damit war das Schweigen seiner Frau beim Essen gewährleistet, aber er fand auch neue Anwendungsmöglichkeiten für die Waffe. Zu viel Kurkuma im Rindfleisch-Curry reichte bereits, um mit der Pistole auf sie zu zielen. Genau wie ein leerer Wasserkrug, der aufgefüllt gehörte. Die Pistole war von nun an immer im Spiel, wenn Sunil seine Befehle erteilte. Und mehr als einmal ballte dann auch Imran die Faust und streckte Daumen und Zeigefinger, um eine Pistole nachzumachen, die er auf seine Mutter richtete, wenn er etwas von ihr wollte oder sich beschwerte.
    Als Mutter Vater von Sunils Machenschaften erzählte, packte ihn der blanke Zorn. Er griff zum Telefon, rief Ghaleb Chatha an und erzählte ihm, was vor sich ging. Ausnahmsweise waren sich die beiden einmal einig: Sunil war zu weit gegangen. Ghaleb versprach Vater, dort Druck auszuüben, wo es wehtat. Er rief seinen Vetter an und sagte ihm, er solle die Waffe loswerden. Falls nicht, würden die monatlichen Schecks, die mittlerweile einen bedeutenden Teil von Sunils bescheidenem Einkommen darstellten, ausbleiben. Sunil hatte keine andere Wahl. Er verkaufte die Pistole. Aber nicht, bevor er seiner Frau verbat, jemals wieder mit Mutter zu reden.
    Mutter tat alles, um das Verbot zu umgeben, bald darauf aber gab es andere Gründe, warum die beiden nicht mehr miteinander sprachen. Sie stritten sich. Mutter forderte immer heftiger, dass sie Sunil verlassen sollte – schließlich war sie mittlerweile legale Bürgerin des Landes, niemand konnte ihr Imran mehr wegnehmen –,
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