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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich
Autoren: Rolf Dobelli
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vergewissern, daß ich auch wirklich den Schirm, den ich nicht mitgebracht habe, nicht im Cafe liegengelassen habe. Es ist nicht zu übersehen: Der Kellner hat ihr Weinglas abgeräumt. Meine leere Espressotasse steht noch immer am Rand des Tischchens und füllt sich mit Regenwasser.
    Wohin mit uns?
    In den Vorderen Sternen - wieder Wurst und Senf. Ich bin glücklich, unter dem Planendach zu stehen, im würzigen Rauch, während der Wind Regen und Laub durch die Straßen peitscht. Je öfter man in gehobenen Lokalen speist, desto besser schmeckt eine einfache Bratwurst vom Grill. Dazu mehr Bier als angebracht (Heineken aus Dosen), ich gestikuliere und rede und lache, als würde ich es nicht bemerken, wie sie meine Hand faßt und ich ihre. Ohne Absicht. Zwei Hände wie zwei Magnete. Spiel der Bagatelle. Einen ganzen Abend lang. Ich erinnere mich nicht, wann sich die Hände schließlich losgelassen haben.
    Ein Monat später, wie gesagt, die Küsserei am Bellevue (26. November, ich hab's mir aufgeschrieben).
    Time to Destination: 6 Hours 14 Minutes.
    Sie heißt Josephine Hofmann. Hofmann ist der Name ihres Exmannes. Es ist das einzige, was sie noch von ihm trägt. Ich finde den Namen sehr edel. Aber nur mit einem f<, sagte sie. »Hoffmann«, das ginge nicht, dann hätte sie ihren ersten Namen behalten. Ihre Brille hing immer ein bißchen tief. Das gab ihr eine fast schon professorale Würde, zum Beispiel in der Buchhandlung bei der Arbeit. (Ja, ich habe sie dort besucht, mehr als einmal, ich bin ihr nicht nachgestiegen, ich hatte jeweils vorher angerufen und mitgeteilt, daß ich kommen würde - meine Besuche freuten sie.) Besonders wenn sie vor einem Gestell stand, auf den Zehenspitzen, und mit dem Finger über die Buchrücken streifte auf der Suche nach einem bestimmten Titel. Oder in der Hocke - dann spannte sich der Rock um die Hüften. Ich fand sie nicht unpassend, ihre Brille - ovale Gläser wie liegende Eier, nußholzfarben eingerahmt, schlicht, etwas lehrerhaft vielleicht, aber klassisch. Sie war darauf bedacht, die Brille nie Bestandteil ihres Gesichts werden zu lassen.
    Sie schubste sie auch nie nach hinten. Wenn ich sie anschaute, dann mußte ich mich ein bißchen bücken oder nach links oder rechts ausweichen oder meinen Kopf etwas schief halten, sonst kam die obere Brillenumrandung just auf ihre Pupillen zu liegen, und damit hätte sie auch meine Pupillen nicht sehen können. Oder ich schaute ihr von oben über die Brillenumrandung in die Augen hinein, aber dann würde sie meine Augen unscharf sehen, weil unkorrigiert. Die Gewißheit, daß, wer sich nicht in die Augen schaut, sich überhaupt nicht anschaut. Darum dieses Schattenboxen, wenn ich vor ihr stand. Vielleicht war es ihr Sprechen. Dieses perfekte Deutsch. Jedes Wort trennscharf artikuliert, kein Redefluß, kein Gebrabbel, sondern ein höchst überlegtes Aussenden von Sprachpaketen. Es gibt Frauen, die singen, um Stimmung zu erzeugen, sie modulieren ihre Stimme und beweisen damit ihre Emotionen. Josephine sang nicht. Ihre Stimme war gleichförmig, bestimmt, leicht rauchig und in ihrer Monotonie sehr erotisch. Sie trug gut. Wenn sie etwas unterstreichen wollte, dann sagte sie es in Pausen.
    Time to Destination: 6 Hours 10 Minutes.
    »Chicken or Beef?« Diese Frage wird von Flight Attendants in aller Welt täglich dreißig Millionen mal gestellt und müßte für den extraterrestrischen Besucher wie die zentrale Frage auf diesem Planeten wirken. Nicht einmal die Frage nach dem Lebenssinn wird auf Erden so häufig gestellt.
    Ich entscheide mich für Chicken.
    Mein Sitznachbar ebenfalls.
    Nahrung wie ein Legoset. Ich drehe, rolle und stoße den heißen Aludeckel zu einem möglichst kleinen Volumen zusammen, dabei muß ich aufpassen, daß die Kanten und Spitzen dieser Frank-Stella-Skulptur meine Finger nicht verletzen, so heiß und spitz sind sie.
    »Was fehlt, auf dreiunddreißigtausend Fuß«, sage ich, dabei packe ich eines dieser Exemplare und lasse es aus beträchtlicher Höhe auf das Tablett fallen, »ist frisches Brot. Entweder servieren sie weiches, dampfiges, das an Schwämme erinnert, oder es ist brüchig und hart wie Eierschalen. Es müßte Bäckereien in der Luft geben, die frisches Brot an die vorbeiziehenden Flieger verteilen.«
    Dabei ist es nicht meine Art, ein Gespräch anzuzetteln, schon gar nicht während eines Fluges, aber ich bin einfach sauer auf das Catering, stinksauer, daß es keine Airline kapiert, die Sache mit dem Brot. Mein
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