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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich
Autoren: Rolf Dobelli
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lag es an ihren Konturen, zum Beispiel am Hals, dieser Säule, umspannt von sehr heller Haut, straff und etwas unruhig und plötzlich zu den Schultern hin auslaufend. Ihre Schultern, ihr Becken, ja selbst ihre Ellbogen allesamt etwas spitz, unrund, unerwartet laut, aber nicht eckig. Ein gut definierter Oberkörper. Sie hatte, wie gesagt, etwas Schnippisches an sich, etwas Hochnäsiges. Nicht nur im Aussehen. Ihr Verhalten mir gegenüber war von Anfang an von einer unterschwelligen Boshaftigkeit gezeichnet, von einer Zickigkeit. Ich war mir nicht sicher, ob dies Ausdruck einer allgemeinen Abneigung gegenüber Männern war oder mit der natürlichen Distanz gegenüber Geschäftsleuten - ich trug eine Krawatte - zu tun hatte. Ich war froh, nicht ihr Freund oder Mann zu sein. Eigentlich hätte sie mir egal sein können, wenn es nicht meine Aufgabe gewesen wäre, etwas Public Relations für unser Literatursponsoring zu machen.
    Ich sprach sie an und war augenblicklich enttäuscht, daß sie keine Journalistin war.
    »Was sind Sie dann?« fragte ich.
    »Buchhändlerin.«
    »Ach so.«
    »Und Sie?«
    »Ich arbeite bei einer Bank.«
    »Um Gottes willen«, platzte sie heraus, spritzte dabei auch ein bißchen Wein in die Luft, »dann sind Sie hier wohl fehl am Platz.« Damit hätte ich das Gespräch eigentlich als erledigt betrachten müssen, denn mein Ziel war, wie gesagt, jemanden aus der Medienbranche herauszufischen, und es war schon spät.
    Es kommt nicht selten vor, daß man sich wegen Details zu einer Frau hingezogen fühlt - Augen, Gesicht, Brüste, Taille, die Figur, Schönheitsattribute ganz allgemein. Man denkt sich: Diese Frau möchte ich berühren, und weiß in dem Moment genau, was es ist, was einen anzieht. Es sind Elemente, Stückwerk, Bestandteile. Bei einem Produkt, selbst bei einem Finanzprodukt, würde man sagen: Features. Nicht so bei dieser Frau. Sie war ungewöhnlich. Schon wie sie dastand, mit ihrem Papptellerchen und dem Weinglas, kerzengerade, stolz, etwas frech vielleicht, ihr Deutsch - sie war eindeutig Deutsche - war ausgesprochen klar, was sie sagte und wie sie es sagte, und sie überlegte keinen Augenblick, wenn eine Antwort fällig war. Wir tauschten Visitenkarten aus. Also Buchhändlerin. Zu Hause legte ich die Visitenkarte in meinen Schuh. Und als ich ins Bett schlüpfte, war mir irgendwie bewußt, daß hier etwas war, was über die reine Anziehung dieser Frau hinausging, etwas, in dem ich eine Rolle spielen würde.
    Fasten Seatbelt Sign ausgeschaltet.
    Time to Destination: 6 Hours 30 Minutes.
    Meine Frau heißt Anna. In vielen Dingen hat sie mehr Sachverstand als ich. Zum Beispiel kann sie mit der Bohrmaschine Löcher für Dübel in die Wände jagen und Bilder mit schweren Rahmen daran aufhängen (wir sammeln schon seit Jahren: Gursky, Ruff, Damien Hirst). Oder sie kann kochen. Sie weiß auch, wo unter der Kühlerhaube das Scheibenwasser nachgefüllt werden muß. Der Umbau des Heizkessels, zum Beispiel, ist ihr Projekt. Eine durch und durch praktische Frau, was bei ihrem Beruf - Rechtsanwältin, wie gesagt - eine Seltenheit ist. Wir sind mehr ein Projektteam als ein Paar. Wir messen uns an den gesteckten Zielen und nicht an gemeinsam verbrauchter Zeit. Auch sie ist beruflich oft im Ausland, was nur geht, wenn man sich vertraut wie Kameraden. Daß wir keine Kinder haben, ist das Resultat einer gemeinsamen Entscheidung. Einmal gefällte Entscheidungen soll man nicht umstoßen. Wir sind keine Menschen, die sich von Konventionen vergewaltigen lassen - obwohl sie sich in letzter Zeit nach jedem Kind, das sie auf der Straße erblickt, umdreht. Ich wiederhole: Wir lassen uns nicht von Brauchtum einschüchtern. Lebensplanung ist Lebensplanung. Im Schlaf lasse ich mir meinen Kopf gern von einer anderen Frau verdrehen. Eine Affäre habe ich trotzdem nie ernsthaft in Betracht gezogen. Anna, glaube ich, auch nicht. Ich habe genug zu tun im Geschäft - viertausend Mitarbeiter, wie gesagt.
    Ich bin gegen Affären, aus Prinzip, so wie man gegen Zinsen sein kann.
    Übrigens: Man muß nur lange genug mit einer Frau zusammenleben, dann wird sie praktisch. Überhaupt: die Frau als Extension der Mutter. Gäbe es keine Mütter - würden wir zum Beispiel aus Eiern schlüpfen -, wären auf einmal ganz andere Beziehungen zwischen Mann und Frau möglich.
    Time to Destination: 6 Hours 24 Minutes.
    Die Visitenkarte in meinem Schuh. Plötzlich war alles an ihr erregend. Ich wußte, daß es nicht sein konnte, daß es
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