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Himmelreich

Himmelreich

Titel: Himmelreich
Autoren: Rolf Dobelli
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to Destination: 7 Hours 04 Minutes.
    Wo beginnt der Ehebruch?
    a) Beim Gedanken an eine andere?
    b) Beim ersten Abendessen mit einer anderen?
    c) Beim ersten Abendessen mit einer anderen, das man zu Hause als Geschäftsessen verkauft?
    d) Wenn man einer fremden Frau Blumen schenkt - ohne daß sie im Spital liegt?
    e) Bei der ersten Umarmung, respektive beim ersten Kuß?
    f) Beim Geschlechtsverkehr?
    g) Beim wiederholten Geschlechtsverkehr?
    h) Beim Geschlechtsverkehr mit der eigenen Frau, während man an die andere denkt?
    Time to Destination: 6 Hours 56 Minutes.
    Management, das hat nichts mit Machtausübung zu tun - das mußte ich ihr dann einfach einmal sagen. Ich glaube, sie machte sich lustig über die Menschen auf den obersten Hierarchiestufen, die sich nur noch »abstrakt« mit den Dingen dieser Welt beschäftigten, wegen der »Selbstüberschätzung«, der »Rituale der gegenseitigen Beweihräucherung« und wegen eines »Mangels an Humor«, so jedenfalls dachte sie über meinen Beruf.
    »Du mit deinem Management.«
    »Und du mit deinem Ulysses!« - Ich mußte ja etwas entgegnen.
    Hunderttausend Jahre lang hat der Mensch Kleintiere gejagt und Früchte von den Bäumen gepflückt. Jagen und Sammeln erfordert kein Management. Aber Düsentriebwerke bauen wie jene, die uns im Moment antreiben (Pratt Whitney) - ohne Management undenkbar. Wie sonst bringt man hunderttausend Menschen zusammen, um ein Düsentriebwerk zu bauen? Indem man hunderttausend Leute wahllos zusammentrommelt und zu ihnen sagt: So, macht mal? Straßen, das Automobil, der Computer, die Medikamente, die Krankenhäuser, das Bankwesen, die Buchhandelsketten, die Nahrungsmittel, diese Unmenge von Produkten in den Regalen der Supermärkte, die Mikrowellenherde, kurz, der ganze Wohlstand ruht auf den Schultern unzähliger Manager. Ein Einzelner kann nur soviel, aber eine Gruppe bringt Erstaunliches zustande. Nicht die Erfindung des Rades steht am Beginn der Zivilisation, sondern die Entdeckung des Managements. Ich bin stolz, Manager zu sein. Ohne uns gäbe es keine Flüge nach New York. Es gäbe nicht einmal New York.
    Time to Destination: 6 Hours 50 Minutes.
    Wir steigen noch immer.
    Manager sein heißt, die ins Jenseits gerichteten Pfeile ins Diesseits umzubiegen.
    Time to Destination: 6 Hours 49 Minutes.
    »Dann muß ich dich eben entführen -«
    Ihre Denkübungen, wie sie weiterzuführen wäre, unsere Affäre, ohne daß es wie Ehebruch aussieht. Und es war ihre Idee: eine leichte, luftige, helle Entführung, eine Fahrt ins Blaue, alles ohne Gewalt natürlich, gespielt, vorgegaukelt, eine Entführung wie in einem Groschenroman, ein Ausflug nach Sizilien zum Beispiel, wo wir uns ein Häuschen mieten würden, vielleicht gar eine Villa, weit oben am Hang über Lipari, wo uns niemand kennt, oder eine Segelfahrt über das weite Meer oder nach Griechenland oder Spanien, eine herrlich kitschige, hellgrüne, sommerlich leichte, verspielte Entführung - statt meiner Versetzung nach New York.
    Verführerisch, aber idiotisch, weil realitätsfremd.
    »Im letzten Moment steigst du einfach nicht ein. Alles wird aussehen, als wärst du auf dem Flug nach New York, aber wir fahren weg, irgendwohin, zusammen.«
    Das war vorgestern.
    Jetzt also doch keine Entführung. Ich befinde mich auf dem Flug nach New York. Allein.
    Time to Destination: 6 Hours 42 Minutes.
    Wir hatten uns bei einem Literaturanlaß kennengelernt. Lesung mit anschließendem Apero. Ein langweiliger Empfang (Lesungen sind gräßlich), aber als Sponsor mußte jemand von der Geschäftsleitung hin. Sie stand etwas abseits, ein Stück Brot und einen Zipfel Bratwurst auf einem Kartontellerchen balancierend, in der anderen Hand ein Glas Weißwein. Sie war mit Freunden da oder mit Leuten von der Zeitung, so nahm ich an, sie sah aus wie eine Journalistin - kecke Frisur, schlank, sehr schlank, ein modernes Gesicht mit einer ruhigen, gesunden Farbe, ganz gerissen und kühn, und trotzdem feinzügig, distanziert, Brille, ich weiß nicht, warum ich mir Journalisten so vorstelle. Ab und zu reichte sie das Weinglas einem jener Leute weiter - es waren lauter Männer, die um sie herumstanden -, um die Hand frei zu haben, nahm die Bratwurst zwischen Daumen und Zeigefinger, tunkte sie in den Senf und riß sich einen Bissen davon ab. Dann forderte sie das Glas mit einem einzigen Blick wieder zurück. Ich kann nicht behaupten, daß mir Josephine auf Anhieb gefallen hätte. Sie hatte etwas Schnippisches an sich. Vielleicht
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