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Himmel über Tasmanien

Himmel über Tasmanien

Titel: Himmel über Tasmanien
Autoren: T McKinley
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Schmuddelkind.«
    Lulu betrachtete die dreckige Reithose, den von Motten zerfressenen Pullover und die abgetragene Tweedjacke. »Den Pferden macht das nichts, und außerdem sind die Sachen sehr bequem.« Sie schnippte sich die Locken aus dem Gesicht und griff nach einem weiteren Teekuchen.
    »Ich beneide dich so um deinen jugendlichen Appetit«, seufzte Clarice, »und trotzdem nimmst du kein Gramm zu. Äße ich nur die Hälfte von deinen Portionen, wäre ich groß wie ein Haus.«
    Lulu verbarg ein Lächeln. Clarice war schlank wie eine Weide, und das schon immer, wenn man nach den alten Fotografien ging, obwohl sie einen gesunden Appetit hatte.
    »Allerdings ist es gut«, fügte Clarice hinzu, »dich wieder essen zu sehen. Das zeigt, dass du gesund bist – aber ich mache mir Sorgen, dass du dir womöglich zu viel zumutest.«
    »Ich kann nicht mein Leben lang herumsitzen und michbemitleiden«, erwiderte Lulu mit vollem Mund. »Bewegung und frische Luft tun mir unendlich gut.«
    »Das ist alles schön und gut, aber du weißt, was der Arzt gesagt hat. Dein Herz ist nicht stark, und es ist nicht gut, es zu überanstrengen.«
    »Ich weiß, wann ich zu viel getan habe«, beruhigte Lulu sie, »und obwohl ich leicht ermüde, habe ich gelernt, damit umzugehen.«
    Clarice beäugte sie über den Rand ihrer Teetasse und wechselte das Thema. »Hast du Maurice’ Brief gefunden?«
    Lulu nickte, doch in Gedanken war sie wieder bei dem anderen Brief, der am Morgen eingetroffen war. Da er aus Tasmanien kam und der Inhalt wenig Sinn ergab, hatte es keinen Zweck, ihn mit Clarice zu besprechen – die ihr ziemlich deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass sie nicht über Australien oder irgendetwas in dem Zusammenhang sprechen wollte.
    »Maurice muss sehr einsam sein, dass er dir jeden Tag schreibt. Was mag er nur mitzuteilen haben?«
    Lulu kehrte mit den Gedanken wieder in die Gegenwart zurück, während sie den duftenden Tee schlürfte. Sie wollte eigentlich nicht über Maurice sprechen und sich an diesem Tag die Laune verderben, doch Clarice wartete auf eine Antwort. »Er hält mich über sein neuestes Gemälde auf dem Laufenden, über die Menschen, die er in der Galerie kennenlernt, und über seine Gesundheit im Allgemeinen.« Sie erwähnte nicht die seitenlangen Innenansichten, auf denen er sich über seine Ängste ausließ und seine Unfähigkeit, sich mit irgendetwas allzu lange zu beschäftigen – es war niederschmetternd.
    »Mir ist bewusst, dass es ihm in Frankreich schlecht ergangen ist, aber das ist keine Entschuldigung für Müßiggang. Höchste Zeit, dass er sich zusammenreißt.«
    Diese Unterhaltung hatten sie schon oft geführt, und Lulunahm ihre gewohnte Verteidigungshaltung ein. »Maurice gibt sich die größte Mühe«, murmelte sie, »aber es ist schwer, Arbeit zu finden, wenn man mit Menschenmengen und Lärm nicht zurechtkommt.«
    Plötzlich hatte sie das Bild vor Augen, wie Maurice während eines heftigen Gewitters in einer Ecke kauerte und bei jedem Blitz vor Angst wimmerte, der das Haus in London erhellte, in dem sie zusammen wohnten. Damals hatte sie begriffen, dass die Schlachtfelder ihn noch immer verfolgten, und als das schreckliche Gewitter niederging, hatte sie ihn mit zu sich ins Bett genommen. Sie hatten hektisch miteinander geschlafen und sich wie verzweifelt aneinandergeklammert, als könnte die Wärme und die Berührung eines anderen Körpers beruhigen und heilen – die Erinnerungen auslöschen. Aber natürlich war es nur eine flüchtige Erleichterung gewesen, denn die Erinnerungen waren noch frisch.
    »Ich hoffe doch, dass du dich nicht zu sehr darauf eingelassen hast. Offensichtlich verlässt er sich auf dich, und obwohl eure Kunst euch verbindet, spricht doch ansonsten nicht sehr viel für ihn.«
    Unter Clarice’ durchdringendem Blick wurde Lulu rot. Zweifellos hegte Clarice den Verdacht, dass sie mit Maurice intim war, aber sie hätte sich keine Sorgen machen müssen. Es war nur eine kurze Affäre gewesen – ein Fehler, den sie beide bald selbst eingesehen hatten. »Wir sind uns einig, dass wir Freunde sind, mehr nicht«, erwiderte sie. »Seit Jimmy hat es niemand Besonderen mehr in meinem Leben gegeben.«
    Es wurde still, bis auf das Zischen der Flammen an den feuchten Holzscheiten. Lulus Blick heftete sich auf das Foto, das auf dem Flügel stand. In seiner Uniform sah Jimmy gut aus – und unerträglich jung, mit breitem Lächeln und ehrlichen braunen Augen. Sie hatten sich seit Jahren gekannt
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