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Himmel über Tasmanien

Himmel über Tasmanien

Titel: Himmel über Tasmanien
Autoren: T McKinley
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London nur den Himmel und die stille Landschaft als Gesellschaft zu haben. Sicher, sie hatte die Unabhängigkeit genossen, in den dunklen Tagen des Ersten Weltkriegs einen Bus zu fahren, die Erregung, eigenes Geld zu verdienen und sich eine Wohnung mit anderen jungen Frauen zu teilen, aber die Downs waren wie ein Trost für sie.
    Bei dem Gedanken musste sie lächeln, denn früher hatte sie einmal geglaubt, sie gehöre nirgendwo anders hin als nach Tasmanien. Sie war so jung gewesen, als sie hier eintraf – ihr Akzent und ihre familiären Umstände hoben sie von den anderen Mädchen im Internat ab –, ihr krankes Herz erschwerte ihr die Teilnahme an deren ausgelassenen Spielen. Als Fremdein einem fremden Land war sie verstört und einsam gewesen, hatte sich blind durch die bewegten ersten Jahre getastet, bis sie Freundinnen gewann und mit ihrem neuen Leben besser zurechtkam. Die Landschaft hatte ihr dabei geholfen, und obwohl die Bäume hierzulande anders waren, die Berge sanfter, die Flüsse nicht so wild, hatte sie in England doch den Wesenskern der australischen Insel vorgefunden, die sie noch immer als ihre Heimat bezeichnete.
    Sie setzte sich auf den Zauntritt, um zu verschnaufen. Das Licht war außergewöhnlich, und ihre Künstleraugen tranken die Szene, als lechzten sie nach Schönheit. Ringsum wogten die South Downs, ließen hier und da Kirchtürme sehen und kleine Weiler, gepflügte Felder, die wie Teppiche ausgebreitet waren, Hecken und Schafe mit schwarzen Gesichtern. Ein einsamer Wanderer überquerte den nahe gelegenen Hügel, seine stämmige Gestalt als Silhouette vor dem Himmel, bis er allmählich außer Sichtweite verschwand und sie wirklich allein war in dieser prächtigen Umgebung.
    Ein Sonnenstrahl erleuchtete das Haus unten am Fuß des Hügels, und sie betrachtete es liebevoll. Wealdon House war in mehr als nur einer Beziehung weit entfernt von der Holzkate mit Blechdach in Tasmanien. Es war verschachtelt und altmodisch, die Anzeichen von Alter und Vernachlässigung waren durch die Entfernung und durch den schützenden Bewuchs aus Glyzinien und wildem Wein verschleiert. Aus einigen der großen Schornsteine stieg Rauch, und die Sonne glitzerte auf den vielen Fenstern unter dem Schindeldach. Die geometrisch angelegten Gärten waren durch Hecken unterteilt und mit gepflasterten, von duftenden Kräutern übersäten Pfaden verbunden. An Lauben rankten Geißblatt und wilde Rosen empor, es gab einen Krocketrasen und einen Tennisplatz sowie einen Teich, in dem sich Trauerweiden und ruhender Rhododendron spiegelten. Am südlichen Rand befandensich der Küchengarten und Gewächshäuser, und im Norden führte eine breite Kiesauffahrt in weitem Bogen von imposanten Toren durch Azaleenbeete zu einem großen Vorbau und einer Eingangstür aus Eichenholz.
    Lulu kletterte vom Zauntritt, und als sie das Gatter am Fuß des Hügels erreichte, fiel ihr der erste Frühling vor sechzehn Jahren ein. Damals waren gerade die englischen Sternhyazinthen aufgeblüht, die sich wie ein weiter Teppich unter den uralten Eichen und Eschen ausbreiteten und für das kleine Mädchen, das dergleichen noch nie gesehen hatte, ein Wunderland darstellten. Dann waren die Narzissen, die wilden Anemonen und Butterblumen hinzugekommen – ein neuer Teppich aus Gelb und Weiß.
    Sie machte das Tor zu und grub ihr Kinn in den Kragen, während sie in die Schatten ging, die nun über den verwilderten Rasen krochen. Wie Kristalle glitzerte der Frost im Gras, doch in den winzigen grünen Schösslingen der Schneeglöckchen und Krokusse, die ihre Köpfe durch das Unkraut streckten, lag die Verheißung neuen Lebens. Jede Jahreszeit besaß ihre eigene Schönheit, und wäre ihr nicht so kalt und ihr Hunger nicht so groß gewesen, hätte sie ihr Skizzenbuch zur Hand genommen und versucht, die Szenerie einzufangen.
    Als sie in die Küche kam, schleuderte Lulu ihre Stiefel von sich und begrüßte stürmisch den alten Labrador, der sich vor dem Herd breitgemacht hatte. Das war der wärmste Raum im Haus, denn selbst das lodernde Feuer im Wohnzimmer kam nicht gegen die Zugluft an, die unter sämtlichen Türen hindurch und durchs Treppenhaus pfiff.
    Die Haushälterin stürmte zur Küchentür herein und verschränkte ihre fleischigen Arme unter ihrem ausladenden Busen. »Wird auch langsam Zeit«, murrte Vera Cornish verärgert. »Ich hab genug zu tun, da muss ich nicht auch noch meine Teekuchen warm halten.«
    Lulu biss sich auf die Lippe, um nicht zu kichern,
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