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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling
Autoren: N Vosseler
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nach diesem und jenem, sprach über das Wetter, machte ihr Komplimente über den Laden und ihr adrettes Auftreten, die Sue erröten ließen wie ein junges Mädchen. Bald schon waren sie mitten in einer angeregten Unterhaltung über Cornwall, das Dorf und seine Bewohner, und so dachte sich Sue nichts dabei, als er sie nach einem jungen Mädchen mit wilden blonden Locken fragte, in einem schwarzen Kleid und auf einem zottigen braunen Pferd.
    »Das muss die kleine Lawrence sein. Traurig, das mit ihrem Vater, aber der war ohnehin nicht ganz richtig im Kopf. Seltsamer Mensch, Künstler eben. Die Haushälterin, Marge, stammt hier aus der Gegend. Hat als junges Ding ihre Sachen gepackt und ist in die Stadt gefahren. War wohl ein ziemlicher Aufruhr damals. Na, wer weiß, warum sie auf und davon ist, ohne Grund macht so was doch niemand! Und dann war sie plötzlich wieder hier, mit ihrem Dienstherrn und den beiden armen mutterlosen Kindern, der Junge noch ein ganz kleines Würmchen. Wir haben sie hier nicht oft gesehen, sie hatten ja nie Geld. In die Schule sind die Kinder nicht gegangen, auch nicht zur Kirche. Marge manchmal, hat aber kaum je mit einem ein Wort gewechselt. Gestern war wohl ein Anwalt bei ihnen, wegen der Nachlassgeschichte, hat drüben im Pub übernachtet«, sie unterbrach ihren im Plauderton gehaltenen Redeschwall und ließ ihre Blicke wachsam durch den Laden huschen, als hätten sich zwischen den Regalen, Säcken und Fässern unliebsame Lauscher versteckt, dann reckte sie ihren kurzen, kompakten Körper über die Theke, dem Orientalen entgegen und fügte flüsternd hinzu: »Man hört, sie sind bankrott. Keinen Penny mehr, nur einen Haufen Schulden!« Sie schüttelte bedauernd den Kopf und wischte emsig mit einem Zipfel ihrer Schürze über die blitzblanke Tischplatte. »So was kommt von so was, wenn man sich für was Besseres hält. Helena – schon allein dieser Name! Kein vernünftiger Mensch lässt sein Kind so taufen – wahrscheinlich ist sie nicht mal getauft! Die Kinder können ja nichts für, aber draufzahlen tun sie jetzt dennoch. Keine Ahnung, was aus ihnen werden soll … Kein Bursche aus dem Dorf mit ’nem bisschen Hirn wird das Mädel freien. Ist schlecht erzogen, hat sich immer alleine draußen rumgetrieben, hat nichts, was sie in die Ehe mitbringen kann, und ist dazu nicht einmal hübsch. Nein, nein«, seufzte sie dann auf, »was für ein Elend – so was hätte es früher nicht bei uns gegeben …«
    Als der exotische Fremde endlich den Laden verlassen hatte und hinter der nächsten Ecke verschwunden war, sprangen in den Nachbarhäusern fast gleichzeitig Türen auf, eilten die Hausfrauen herbei, die hinter ihren Fenstern, in ihren Vorgärtchen das Kommen des Orientalen beobachtet hatten, und bestürmten unter dem Vorwand, dringend noch Zwirn oder eine Nähnadel zu benötigen, Sue mit Fragen nach dem seltsamen Besuch. Und Sue erzählte bereitwillig, schmückte die Begegnung verschwenderisch aus, erzählte, er sei sehr interessiert an der Gegend und ihren Bewohnern gewesen, und die Frage kam auf, ob sein reicher Dienstherr vielleicht zu bleiben gedächte und warum, und in der an Spekulationen reichen Diskussion, die sich daraus entspann, hatte Sue bereits vergessen, dass auch Helena Gegenstand der Unterhaltung gewesen war.
    Es war Nachmittag, als der Orientale die Tür zu dem Salon öffnete, der die beiden Gästezimmer im Nebenflügel von Oakesley Manor miteinander verband. Sein Dienstherr, leger in Hemd und Reiterhosen, hatte es sich in einem der blau-golden bezogenen Sessel bequem gemacht. Bei seinem Erscheinen senkte er die Zeitung, in die er vertieft gewesen war, und sah ihn erwartungsvoll an.
    » Und? «
    Der Mann mit dem Turban warf lässig die Zündholzschachtel auf den niedrigen Tisch mit den geschwungenen, geschnitzten Beinen. Sein Gegenüber runzelte die Stirn.
    »Ist das alles?«
    Ohne dazu aufgefordert zu sein, ließ sich der Orientale mit einem leisen Seufzen in dem zweiten Sessel nieder, streckte die Beine in den hellen, eng anliegenden Hosen und Reiterstiefeln weit von sich und begann, Sue Ansells Erzählung über das Mädchen am Strand zu rekapitulieren. Während er sprach, faltete sein Herr die Zeitung zusammen, legte sie beiseite und zündete sich mit den Streichhölzern aus Sues Laden eine Zigarette an.
    In Europa und Übersee von Hand aus feingeschnittenem Tabak und dünnstem Papier gerollt, galten die teuren vorgefertigten Zigaretten in England und Frankreich als
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