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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling
Autoren: N Vosseler
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kastanienfarben durchkämmt. Die Hemdsärmel hochgerollt, hatte er die zusammengeklappte Staffelei geschultert; in der anderen Hand trug er eine auf einen Holzrahmen gespannte Leinwand, scheinbar unbesorgt um die noch frische Farbe darauf.
    Von früher Jugend an lebt ich lieber als sonstwo auf den Küsten von Ionien und Attika und den schönen Inseln des Archipelagos, und es gehörte unter meine liebsten Träume, einmal wirklich dahin zu wandern, zum heiligen Grabe der jugendlichen Menschenheit. Griechenland war meine erste Liebe, und ich weiß nicht, ob ich sagen soll, es werde meine letzte sein – so hatte er Hölderlin, den deutschen Dichter, zitiert, und sich selbst damit gemeint. Dunkel wie ein Zigeuner, aber mit tiefblauen Augen, die alles, was sie sahen, in Schönheit zu verwandeln schienen, hatte er sie in dieses Abenteuer entführt, das sie vom ersten Moment an liebte, so wie sie ihn von jenem ersten Moment an geliebt hatte, in dem er als ihr neuer Zeichenlehrer ihr Elternhaus betreten hatte und sie sich gemeinsam über ihren Skizzenblock gebeugt hatten.
    Rom, Die Ewige , Neapel und Syrakus, Delphi und Korinth, Salamis und Mykenä, Patras und Ithaka – rastlos hatten sie zwei Jahre lang die Stationen ihrer Reise ohne Ziel aneinander gereiht, trunken von der Sonne und dem Glück, einander gefunden zu haben. Erst unter der Akropolis von Athen, wo Helena im glühend heißen August vor fünf Jahren zur Welt gekommen war, hatten sie ein Zuhause gefunden, und hier auf Kephallinia waren sie zur Ruhe gekommen. Kephallinia, die Insel der Wunder, wie sie von den Einheimischen genannt wurde.
    Es war die Wiege der abendländischen Kultur, die Arthur faszinierte, die Heimat unzähliger Götter- und Heldensagen, voller Leidenschaft, Kampf und Hass, Liebe und Tod, und jeden Morgen hatte er aufs Neue seine Staffelei aufgestellt und wie ein Besessener gemalt, Meer und Fels und Licht eingefangen und auf die Leinwand gebannt, die Geister der toten Helden und ihrer Geliebten wieder lebendig werden lassen. Die englischen, französischen und deutschen Reisenden, begierig, ein Stück dieser sonnendurchfluteten, ewigen Welt mit in die regnerische Heimat zu nehmen, deren Freunde, die zu Hause beim Betrachten der intensiven, wie von der Sonne in die Leinwand gebrannten Farben Fernweh verspürten, sie ermöglichten Arthur und Celia ein sorgenfreies, wenn auch nicht sonderlich üppiges Auskommen.
    Lachen drang zu ihr herauf, vermischt mit einzelnen Wortfetzen der kraftvollen und biegsamen Sprache des Griechischen, und Celia sah, wie die beiden Hirten mit Helena schäkerten, die den Leinenbeutel mit den Pinseln und Farben ihres Vaters umgehängt hatte. Während ihr eigenes blondes Haar glatt wie gesponnenes Gold das Sonnenlicht reflektierte, umstanden Helenas Locken ihr Gesicht wie eine leuchtende Aureole, und manchmal glaubte man einen Hauch von Kupfer darin zu entdecken.
    Chrysó mou …
    Celia lief es im warmen Licht der Abendsonne kalt den Rücken herab.
    » Chrysó mou , mein Goldkind!«, hatte die alte Frau Helena zugerufen und ihre krummen Finger nach dem kleinen englischen Mädchen in seinem weißen, ärmellosen Hängerkleidchen ausgestreckt.
    Sie hatte im Schatten eines der Häuser auf einem Hocker gesessen und müßig das Markttreiben beobachtet. Helena hatte sich mit erhabenem Gleichmut in ihr Schicksal ergeben und sich auf ihren Schoß ziehen, sich küssen und liebkosen lassen, wie sie es von den Griechinnen erfahren hatte, seit sie geboren war. Mit sichtlicher Freude wanderten die knorrigen Hände über das von der Sonne getönte Gesichtchen und das widerspenstige Haar, flüsterte die Greisin Koseworte, bis ihre Berührungen in einen ruhigen, stetigen Rhythmus kamen.
    » Chrysó , Goldkind, du bist zur Prinzessin geboren«, hörte Celia sie raunen, ihr zerfurchtes Gesicht andächtig entspannt. »Das Schicksal wird dich in die Fremde führen. Zwei Männer – Feinde – werden um dich werben, und du wirst das Geheimnis lüften, das ihr Schicksal aneinander bindet. Einer davon wird dein Glück sein. Doch lass dich nicht vom ersten Augenschein täuschen! Die Dinge sind oftmals nicht so, wie sie zunächst scheinen oder wie du sie sehen willst …« Ihre Stimme erstarb, ließ eine verheißungsvolle Anspannung in der Luft zurück, die nach Staub, Zwiebeln und süßen Trauben duftete.
    »Können Sie mir sagen, was mich erwarten wird – mich und meinen Mann?«, hörte Celia sich selbst fragen. Ihre Worte, wie gegen einen inneren
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