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Himmel über Darjeeling

Himmel über Darjeeling

Titel: Himmel über Darjeeling
Autoren: N Vosseler
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zeitgemäßen Möbel war nachgedunkelt und zerkratzt, die pastellfarbigen Bezüge verblichen, an manchen Stellen fadenscheinig und notdürftig ausgebessert; doch ganz offensichtlich hielt man mittlerweile auch dies nicht mehr der Mühe wert.
    World’s End – ein passender Name für diesen gottverlassenen Flecken Erde! Er hatte geglaubt, der Kutscher sei vom Weg abgekommen oder lieferte ihn in diesem unwegsamen Gelände einer Räuberbande aus, als endlich das halb verfallene Haus in Sicht kam, grau wie die schroffen Klippen unter ihm und ungeschützt vor dem scharfen Wind, der von der unruhigen See herüberfauchte. Die im Landesinneren noch üppigen Hügel schienen hier bis auf ihr Rückgrat abgemagert, und selbst der sonst im Land so ins Kraut schießende Baldrian verkümmerte im kargen Boden. Falls König Artus tatsächlich etwas weiter nördlich auf der Burg Tintagel seine Tafelrunde versammelt haben sollte – dieser Teil der Küste musste zweifellos jenseits der Grenzen seines Königreiches gelegen haben; wirkte er doch, als sei dahinter die Welt zu Ende, einsam und unwirtlich wie ein letzter Außenposten des britischen Empire an der Grenze zu einer kalten, nassen Hölle. Dies war kein Ort, an dem ein gesunder, normal empfindender Mensch länger ausharren würde als unbedingt notwendig, aber Arthur Lawrence war offensichtlich in den letzten Jahren nicht mehr er selbst gewesen. Vergangene Woche nun hatte der Herr in Seiner Gnade ihn endlich von seinem irdischen Leiden erlöst, und Wilson war die undankbare Aufgabe zugefallen, den spärlichen Nachlass zu verwalten. Er schnaubte verächtlich und strich sich über den farblosen Oberlippenbart.
    Vor einem großflächigen Gemälde blieb er stehen, das mit seinen kräftigen Blautönen und dem strahlenden Weiß sofort den Blick eines jeden auf sich zog, der den Raum betrat, das sogar noch das letzte Quäntchen Licht, das hineindrang, zu absorbieren schien – man glaubte förmlich selbst auf der Terrasse zu stehen und das Sonnenlicht auf der Haut zu spüren. Auf der Bank aus geädertem kühlen Marmor saß eine Frau, madonnengleich und doch verführerisch in ihrer Unschuld. Meisterhaft hatte der Maler den hellen Schimmer ihrer Haut eingefangen, konnte man beinahe das Blut darunter durch das Flechtwerk der Adern pulsieren sehen und auf einen Blick aus ihren Augen hoffen, die wie aus dem Stoff des Meeres hinter ihr geschaffen zu sein schienen. Doch diese waren unverrückbar auf den Strauß purpurner und rosenfarbener Anemonen gerichtet, der ihr zu Füßen lag. Die Aussage des Gemäldes blieb rätselhaft, war es im Grunde wohl nur eine Art Denkmal, das Festhalten und die Würdigung einer einzigartigen Schönheit, und Wilson begann zu ahnen, dass Arthur Lawrence sie bis zum Wahnsinn geliebt haben musste.
    Wie vielversprechend hatte einst alles begonnen! Sieben Jahre hatten sie in den südlichen Gefilden verbracht, ehe sie im September 1864 nach London zurückkehrten, in eine Stadt, die sie mehr als willkommen hieß. Arthur Lawrences Gemälde, die sonnendurchtränkten Landschaften, die greifbar lebendigen Szenen antiker Historie und Mythologie, waren begehrt, und nicht minder der temperamentvolle, vor Charme sprühende Künstler und seine elfenhaft schöne Frau. Gastgeber schmückten ihre Soireen und Soupers nur zu gerne mit dem jungen Paar, welches ein Hauch von Abenteuer und Boheme umwehte. Der Skandal, der Jahre zuvor die Gesellschaft erschüttert hatte, als der aus einfachen Verhältnissen stammende Zeichenlehrer mit der jüngsten Tochter des Ehrenwerten Richters Sir Charles Chadwick durchgebrannt war, sie sich mitten in der Nacht in Gretna Green, einem schottischen Dorf hinter der Grenze vom dortigen Friedensrichter, einem Schmied, trauen ließen, war vergessen. Und selbst die kritischsten Blicke der sorgsam über Tugend und Anstand wachenden Ladys wurden weich, wenn Celia eine Teegesellschaft betrat, ihre Umstände geschickt mit einem prächtig gemusterten Seidenschal kaschierend, an der Hand ihre kleine Tochter, in Lackschühchen und volantbesetztem Kleidchen, die glänzenden Locken von Satinschleifen gebändigt. Arthur Lawrence griff nach den Sternen des Künstlerhimmels; doch sein aufkeimender Ruhm sollte kaum fünf Monate währen, ehe die Götter sich unbarmherzig von ihrem Günstling abwandten.
    Das Geräusch der Tür ließ Edward Wilson sich umdrehen. Margaret, der gute Geist dieses traurigen Hauses, klein und dunkel wie die ursprünglichen Bewohner dieser
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