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Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012

Titel: Heyne - Das Science Fiction Jahr 2012
Autoren: Sascha u. a. Mamczak
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derselben Mythologie aufgefasst werden.
    Aber für uns Kinder – für die Hauptzielgruppe – war Robin einfach genau wie wir. Er war, wie wir auch gewesen wären, wenn wir ebenfalls eine Maske und ein Cape gehabt hätten und damit hätten herumrennen können, ohne dass jemand gewusst hätte, wer wir waren, und ohne dass uns jemand pünktlich ins Bett geschickt hätte. Wie gern wären wir ein Teil dessen gewesen, was wir törichterweise für die Welt der Erwachsenen hielten.
    Flugkünste
    Batman konnte eigentlich gar nicht fliegen. Das hat meine Begeisterung für ihn wahrscheinlich schon ein wenig gedämpft, da Fliegen – wie die überlieferten Bilder nahelegen – diejenige Eigenschaft von Superhelden war, die mich während meiner Zeit als junge Superheldenzeichnerin am meisten interessierte. Fast alles in meiner erfundenen Welt Unfugland flog herum. Warum war ich vom Leben in der Luft eigentlich so angetan? Und wenn ich es mir genau überlege – warum waren die Schöpfer der Superhelden davon so angetan?

    Jedenfalls scheint diese Vorliebe weit verbreitet zu sein. Ein – allerdings weniger bekannter – Superheld, auf den ich kürzlich gestoßen bin, heißt »Kidney Boy«. Ich bin ihm auf Twitter begegnet und habe, von seinem Pseudonym fasziniert, angeboten, ein Kostüm für ihn zu entwerfen, inklusive Superkräften und einem Zauberwort. In der Realität ist Kidney Boy ein ziemlicher Nerd: ein Nephrologe, ein Nierenarzt. Er hat mir erklärt, dass er nur zu gerne Zauberkräfte hätte, vor allem welche, die es ihm ermöglichen würden, neue Nieren für seine Dialysepatienten zu erschaffen. Aber falls das nicht drin sei, würde er am liebsten … fliegen können.
    Selbstverständlich habe ich ihm alle seine Wünsche erfüllt: ein Kostüm mit einem violetten Nierenhelm; ein magisches Skalpell, das nie fehlgeht; ein Zauberwort (»Nephro-Change-O«), das nicht nur aus dem Nichts Nieren erschafft, sondern auch dafür sorgt, dass sie in die Patienten hineingleiten, ohne dass diese operiert werden müssen; und natürlich konnte er fliegen.
    Die Ontogenese wiederholt die Phylogenese – haben Kidney Boy und ich unsere Begeisterung fürs Fliegen von irgendjemandem geerbt? Ist sie unseren Genen eingeschrieben, oder steckt ein Mem dahinter, wie Richard Dawkins sie bekannt gemacht hat: ein Thema, eine Idee, ein Motiv, das von Generation zu Generation weitergeben wird, sich selbst repliziert, mutiert und dabei mit anderen Memen konkurriert? So oder so ist es bestimmt kein Zufall, dass die Fähigkeit zu fliegen, ob nun mit oder ohne Flügel, Flugschuhen, einem Cape, einem Pferd, einem Teppich, einem Ballon, aerodynamischen Nieren oder Ähnlichem eine lange Geschichte hat.

    Was bedeutet die Flugfähigkeit für einen Superhelden oder sogar für einen Gott? Wir reden hier nicht von Flugzeugen oder Hubschraubern. Es geht nicht um ein möglichst schnelles und effizientes Transportverfahren. Es geht um Flügel, seien sie nun wirklich oder impliziert, und darum, sich über die Erde zu erheben und ohne Anstrengung von einem Ort zum anderen zu segeln. Es geht darum, die Grenzen der eigenen Körperlichkeit zu überwinden, die Last der Sterblichkeit, die wir mit uns herumschleppen, hinter sich zu lassen. »Wenn ich Engelsflügel hätte«, so heißt es in einem schwermütigen Volkslied, »würde ich über die Gefängnismauern hinwegfliegen …« Aber wir haben keine. Obwohl wir uns offenbar schon immer welche gewünscht haben.
     
    Auf den ersten Blick könnte man meinen, Flügel wären eine super Sache, und zwar ohne jede Einschränkung. Dabei stellen Flügel bei nichtmenschlichen Wesen sogar ein Alarmsignal dar.
    Zum Beispiel Inanna, die Lebens- und Liebesgöttin Mesopotamiens, die ich bereits erwähnt habe. Sie war mit Flügeln ausgestattet, und sie war eindeutig jemand, mit dem man sich nicht anlegen wollte. Ebenso wie ihre spätere Inkarnation Ischtar, die einen Auftritt im Gilgamesch-Epos hat, konnte Inanna zwischen unterschiedlichen Reichen – Erde und Unterwelt, Erde und Himmel – hin und her wechseln, und beide waren dafür berüchtigt, dass sie sterbliche Männer verführten, denen dann ein tragisches Schicksal drohte. Als Ischtar Gilgamesch auffordert, ihn zu heiraten, zählt er prompt ihre zahlreichen Exliebhaber auf, die sie ermordet oder gefoltert oder in Wölfe oder Zwerge verwandelt hat.

    Die Griechen kannten zwei Götterboten: Iris, eine moralisch neutrale Sterbliche mit goldenen Flügeln, und Hermes, der
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