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Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel

Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel

Titel: Hexer-Edition 19: Der abtrünnige Engel
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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steinerne Wächter mit gewaltigen Schwertern in den Händen. Automatisch wollte ich mich zur Treppe wenden, aber Shadow hielt mich zurück. Wieder warf ich einen unbehaglichen Blick zu den Fenstern hoch. Hinter jeder der dunklen Öffnungen glaubte ich ein Augenpaar wahrzunehmen, das unsere Bewegungen verfolgte, und wenn ich auch wusste, dass es sich nur um Einbildung handelte, konnte ich den Eindruck doch nicht ganz abstreifen.
    Leise Musik drang an mein Ohr, der durch die Scheiben gedämpfte Gesang einer Vielzahl von Menschen. Silent night, holy night …
    Wie angewurzelt blieb ich stehen. Ein heiseres Lachen stieg aus meiner Kehle empor. Einen größeren Gegensatz als unser Schleichen durch die gespenstisch anmutende Nebellandschaft und den vielstimmigen Gesang von einer stillen, heiligen Nacht konnte es kaum geben. Angesichts der alles andere als heiligen Ereignisse hatte ich völlig vergessen, welches Datum wir heute schrieben: den vierundzwanzigsten Dezember.
    Es war Heiligabend.
    Der Gesang, die größtenteils dunklen Zimmer, das Fehlen eines Nachtwächters – alles, was mir in den letzten Minuten Sorgen bereitet hatte, fügte sich nun zu einer denkbar einfachen und harmlosen Erklärung zusammen. Die Patienten und das Personal der Klinik hatten sich zu einer gemeinsamen Weihnachtsfeier zusammengefunden.
    Meine Anspannung entlud sich in einem leisen Kichern, wobei ich die Hand vor den Mund pressen musste, um nicht laut herauszuprusten. Shadow starrte mich wie einen Geisteskranken an und wahrscheinlich überlegte sie auch gerade, ob ich mich nicht bei einem der Nervenärzte in besserer Obhut befunden hätte. Der Gedanke an die Ärzte und vor allem an Pri ernüchterte mich augenblicklich. Mein Kichern brach ab.
    »Frohe Weihnachten«, raunte ich Shadow bitter zu. »Fehlt nur noch ein Geschenk.«
    In diesem Moment hatte ich glattweg vergessen, dass bekanntlich jeder meiner Wünsche unserem Autor Befehl war. Er bereitete uns unser Weihnachtsgeschenk gleich darauf in Form der beiden Marmorstatuen neben der Treppe, die zum Leben erwachten und sich auf uns stürzten.
    Verdammtes Weihnachten!
     
    Mit klopfendem Herzen wartete Elisabeth Denworthy einige Sekunden vor der Tür. Sie atmete ein paarmal tief durch, um sich selbst Mut zu machen, bevor sie zaghaft anklopfte. Dr. Jackson hatte im Rahmen seiner Therapie strikte Anweisung gegeben, das Zimmer nicht zu betreten, solange kein Notfall vorlag. Er war immerhin einer der angesehendsten und einflussreichsten Ärzte der Klinik und es gab keinen Notfall, aber immerhin war Heiligabend, und wenn er selbst schon nicht an der Feier teilnahm, so war dies noch lange kein Grund, Priscylla als einzige Patientin ebenfalls davon auszuschließen. Außerdem bot diese Situation ihr möglicherweise Gelegenheit, mit der Patientin über ein paar Dinge zu sprechen, die ihr in den letzten Tagen aufgefallen waren.
    »Herein«, wurde Elisabeth aufgefordert. Sie öffnete die Tür und trat ins Zimmer. Es war dunkel und sie schaltete das Licht an.
    Priscylla lag im Bett und lächelte ihr freundlich entgegen. Ihr engelhaftes Gesicht zeigte keinerlei Spuren von Wahnsinn, so wie sie meistens wie ein unschuldiges kleines Mädchen aussah. Niemand hätte bei ihr eine Geisteskrankheit vermutet, wenn es nicht gelegentlich zu diesen Anfällen käme, während der sie nicht mehr Herr ihrer selbst war. Elisabeth hatte in den nun schon fast zwanzig Jahren, die sie im Sanatorium arbeitete, eine Menge Formen von Verrücktheit erlebt, doch dieser Fall blieb ihr ein Rätsel. Sie tröstete sich damit, dass sie schließlich nur eine Krankenschwester war und Dr. Jackson sicherlich wusste, was er tat, wenn er für Priscylla strikte Isolation anordnete.
    Was nicht bedeutete, dass es nicht auch Ausnahmen geben durfte, ohne dass seine ganze Behandlung dadurch gleich in Frage gestellt wurde. Heiligabend war in Elisabeths streng katholisch geprägtem Weltbild eine solche Ausnahme – und zwar eine gewichtige. Zur Not konnte sie sich immer noch damit herausreden, dass sie geglaubt hätte, einen Schrei zu hören. Da sollte Jackson ihr erst einmal das Gegenteil beweisen.
    »Frohe Weihnachten«, sagte sie lächelnd. »Ich sollte zwar eigentlich nicht hier sein, aber da schließlich nur einmal im Jahr Heiligabend ist, dachte ich mir, dass ich Sie hier nicht so alleine liegen lassen kann, ohne wenigstens zu fragen, ob Sie vielleicht einen Wunsch haben.«
    »Das ist sehr nett von Ihnen, Mrs. …«
    »Denworthy, Mrs. Elisabeth
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