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Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit

Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit

Titel: Hexer-Edition 03: Das Haus am Ende der Zeit
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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eine geschwungene, mit kostbaren Teppichen belegte Treppe zu einer Galerie hinauf, von der zahlreiche Türen abzweigten. Es war angenehm warm, obwohl nirgends ein Feuer brannte.
    »Nun, Mister Phillips?«, fragte Boldwinn. »Zufrieden?«
    Es dauerte eine Sekunde, ehe ich begriff, dass seine Worte mir galten. Ich fuhr zusammen, drehte mich halb um und sah ihn verlegen an. Ein dünnes, spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen. Er musste den Blick, mit dem ich mich umgesehen hatte, richtig gedeutet haben.
    »Ich … verzeihen Sie«, stotterte ich. »Ich …«
    Boldwinn winkte ab und schloss die Tür hinter sich. »Es muss Ihnen nicht unangenehm sein, Mister Phillips«, sagte er gleichmütig. »Ich bin das gewohnt, wissen Sie? Jeder, der mein Haus nur von außen kennt, ist überrascht, wenn er es betritt.« Sein Lächeln wurde ein wenig breiter, aber nicht sympathischer. »Ich habe weder die Mittel noch das Personal, den Park in Ordnung zu halten«, sagte er, »aber es verschafft mir immer wieder Genugtuung, die Gesichter meiner Besucher zu sehen, wenn sie hereinkommen.«
    Ich fühlte mich mit jeder Sekunde unbehaglicher. Boldwinn war im Grunde nichts als ehrlich, aber es gibt eine Art der Ehrlichkeit, die schon wieder unhöflich ist.
    »Ich sehe«, fuhr er fort, »ich bringe Sie in Verlegenheit, also wechseln wir das Thema. Carradine – bereiten Sie einen Imbiss für vier Personen vor. Und schnell, bitte.«
    Die Worte galten dem Mann, der uns geöffnet hatte, einem verhutzelten kleinen Männchen, das die ganze Zeit schweigend und mit gesenktem Kopf dagestanden und Howard und mich verstohlen aus den Augenwinkeln gemustert hatte. Schon vorhin, als ich nur seinen Schatten gesehen hatte, war er mir sonderbar vorgekommen; jetzt, als ich ihn im hellen Licht sah, erschreckte mich seine Erscheinung fast.
    Im ersten Moment hielt ich ihn für einen Buckeligen, aber das stimmte nicht. Seine linke Schulter hing tiefer und in anderem Winkel herab als die rechte, und sein Hals war auf sonderbare Weise auf die Seite geneigt, als könne er den Kopf nicht gerade halten. Seine linke Hand war einwärts geknickt, die Finger zu einer nutzlosen steifen Kralle verkrümmt, und sein rechtes Bein und der Fuß sahen aus, als wären die Knochen irgendwann einmal gebrochen und in falschem Winkel wieder zusammengeheilt. Sein Gesicht war ein Alptraum: eingedrückt und schief wie eine Maske aus Wachs, die jemand zusammengedrückt hatte; der Mund verzogen, sodass er ständig sabberte – ohne etwas dafür zu können –, das linke Auge blind und geschlossen. Ein Krüppel.
    »Gefällt Ihnen Carradine?«, fragte Boldwinn leise. »Er ist mein Hausdiener, wissen Sie? Ein bedauernswertes Geschöpf. Eigentlich ist er nutzlos und richtet mehr Schaden als Nutzen an, aber irgend jemand musste sich seiner annehmen, nicht wahr?« Er lachte. »Eigentlich wollte ich ihn Quasimodo nennen, aber das wäre geschmacklos gewesen.«
    Howard sog scharf die Luft ein, aber diesmal war ich es, der ihn mit einem warnenden Blick zurückhielt. Boldwinns Sinn für Humor schien eine sonderbare Entwicklung mitgemacht zu haben, aber das ging uns nichts an.
    »Sie … leben allein hier?«, fragte ich, um auf ein anderes Thema zu kommen.
    Boldwinn starrte mich an, als hätte ich ihn gefragt, ob er Syphilis habe. »Nein«, sagte er. »Außer Carradine wohnen noch meine Tochter und mein Neffe Charles hier. Aber die schlafen beide schon. Sie werden sie morgen beim Frühstück kennen lernen – wenn Sie Wert darauf legen.« Er wandte sich abrupt um und klatschte in die Hände. »Carradine!«, sagte er. »Hast du nicht gehört? Einen Imbiss für vier – husch, husch!«
    Carradine grunzte, blickte uns der Reihe nach aus seinem einzigen verquollenen Auge an und humpelte dann davon. Er erinnerte mich tatsächlich ein bisschen an Quasimodo …
    »Aber was stehen wir hier noch herum?«, fuhr Boldwinn fort, als der Krüppel gegangen war. »Es wird eine Weile dauern, ehe das Essen fertig ist. Gehen wir in die Bibliothek. Dort redet es sich besser.«
    Er wartete unsere Antwort nicht ab, sondern drehte sich um und ging mit raschen Schritten auf eine Tür in der Seitenwand zu. Ich tauschte einen langen, fragenden Blick mit Howard. Er schwieg, aber das Gefühl in seinen Augen entsprach dem in meinem Inneren. Man musste kein Hellseher sein, um zu spüren, dass mit diesem Haus und seinen Bewohnern etwas nicht stimmte.
    Aber ich war plötzlich gar nicht mehr begierig darauf, herauszubekommen, was
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