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Hexentochter

Hexentochter

Titel: Hexentochter
Autoren: Nancy Holder , Debbie Viguié
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anderen aus der schweren Jacke zu winden. Das Kleidungsstück schaukelte auf den Wellen wie eine aufgetriebene Qualle.
    Als Nächstes nahm sie sich ihren Rock vor und fummelte an der Kordel herum. Sie bekam den Knoten nicht auf. Immer noch schwer behindert drehte sie sich um und versuchte, nur mit Hilfe der Arme zum Strand zurückzuschwimmen. Binnen Sekunden erlahmte ihre Kraft. Dann brach sich eine weitere Welle über ihr, und sie hustete krampfhaft, als ihre Lunge das Wasser ausstieß, das sie eben geschluckt hatte.
    Doch kaum bekam sie wieder Luft, rollte die nächste Woge über ihren Kopf hinweg. Und noch eine. Ihr Hirn wurde allmählich taub und blieb an den grässlichen Bildern der Rafting-Tour hängen, die ihre Eltern und ihre beste Freundin das Leben gekostet hatte. Es ist ein Jahr vergangen, und jetzt kommt das Wasser auch mich holen, dachte sie benommen.
    Aber ich bin nicht mehr das hilflose Mädchen von damals. Ich bin eine Hexe, und eine ziemlich mächtige obendrein. Ich sollte irgendetwas tun können, um mich zu retten.
    Sie wandte sich um und blickte aufs Meer hinaus, während ihre erschöpften Beine mühsam Wasser traten. Wie machten die Bodysurfer das eigentlich? Sie ritten auf den Wellen.
    Das kann ich auch.
    Eine mächtige Welle rollte heran. Holly holte tief Luft. »Ich kann das!«, schrie sie, als die Welle sie erreichte.
    Ihr Körper wurde hochgewirbelt, und dann lag sie auf dem Wasser, direkt vor dem Wellenkamm.
    Mit atemberaubender Geschwindigkeit flog sie auf das Ufer zu. Als sie den Strand fast erreicht hatte, brach die Welle hinter ihr und schleuderte sie auf den Sand. Die scharfen Sandkörnchen drangen ihr in Mund und Augen, während sie auf allen vieren weiter vom Wasser wegkrabbelte.
    Nun verließ sie auch das letzte bisschen Kraft, sie brach zusammen und schaffte es gerade noch, sich auf den Rücken zu drehen. Sie hustete schwach. Ihre Augen brannten, ihr Gesicht fühlte sich wund an, als hätte jemand Sand in jede Pore gerieben. Die Augen begannen heftig zu tränen, und sie gab sich dem Weinen hin – um ihre Augen auszuwaschen und das Grauen, das sie ausgestanden hatte.
    Ich wäre beinahe gestorben. Genauso, wie ich vor einem Jahr hätte sterben sollen.
    So was Albernes. Ich hätte nicht sterben »sollen«. Ich sollte überleben. Ich habe einen Coven zu leiten, Gefolgsleute zu beschützen.
    Endlich versiegten ihre Tränen. Sie blinzelte rasch, um wieder klarer zu sehen. Langsam wurde der Himmel deutlicher... und er war dunkel und hing bedrohlich tief.
    Die Luft war schwer und schien beinahe zu knistern. Sie sah sich hastig um. Nichts kam ihr bekannt vor. Hatte die Welle sie an einen anderen Strandabschnitt gespült?
    Ein Kribbeln wie ein Stromstoß kroch an ihrem Rücken hinab, als sie sich langsam aufrichtete. Sie spürte Magie hier, und sie fühlte sich sehr, sehr alt an. Einem seltsamen Zwang gehorchend, drehte sie sich um und wandte dem Meer den Rücken zu.
    Ach, du...

Zwei
    Laubmond
    Mit jedem Tod wächst unsere Kraft
    Verjüngt vom letzten Atem des Feindes
    Mit jedem Opfer erneuern wir
    Unseren Treueschwur an den Herrn
    Wir drehen am Spinnrad jedes Jahres
    Und brauchen nichts zu fürchten
    Denn wir wissen, was gestorben ist
    Stärkt uns und überdauert in uns
    Das Schloss war uralt, aber wunderschön. Es rief mit hohen Tenorklängen nach ihr wie ein mittelalterlicher Troubadour, der Geschichten von König Artus und seinem Hof erzählte. Es kam ihr vor, als schwebte sie, so lautlos waren die Schritte, mit denen sie sich darauf zubewegte. Die große steinerne Burg war lebendig - sie konnte es spüren.
    »Etwas Wunderbares ist hier geschehen«, flüsterte sie.
    Ein Schatten zog über ihre Gedanken. »Und etwas Schreckliches.«
    Irgendwie hatte sie die Strecke zu den hohen Mauern zurückgelegt, ohne es zu bemerken. Sie streckte die Hand aus, um über die verwitterten Steine zu streichen, und ihre Finger kribbelten, als sie sie berührte. Energie strömte durch diese Mauer. Sie lief an Hollys Arm hinauf und schlang sich um sie, als wollte sie Holly für alle Ewigkeit an sich binden.
    Von drinnen rief etwas nach ihr, obgleich sie nicht hätte sagen können, wer oder was. Sie legte die ganze Hand flach auf den Stein und lehnte sich dagegen. Langsam verschmolzen ihre Haut und ihre Knochen mit der Mauer, lösten sich in ihr auf, glitten durch sie hindurch. Ihr restlicher Körper folgte der Hand in den Stein.
    Einen Augenblick lang war alles kalt und feucht. Wieder stieg Angst in ihr
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