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Hexentage

Hexentage

Titel: Hexentage
Autoren: M Wilcke
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hatte Jakob das Angebot unterbreitet, sich ihm auf dieser Reise anzuschließen. Jakob hatte, ohne zu zögern, zugesagt, aber gleichzeitig davor gescheut, mit Agnes über die Reise zu sprechen. Er wußte, daß schon die geringste Andeutung von Hexenwerk ihre Laune für mehrere Tage verderben konnte.
    »Natürlich ist es nicht ungefährlich, eine solche Reise zu unternehmen«, redete er weiter auf sie ein. »Aber man spricht davon, daß die Wälder seit dem Rückzug der kaiserlichen Truppen sicherer geworden sind.«
    Agnes ließ die Heilige Schrift mit einem lauten Knall zusammenklappen. »Red nicht so einen Unsinn! Es ist nicht die Wegstrecke, die mir Sorgen macht. Vater hat mir erzählt, daß Osnabrück von der Zauberei befallen ist. Dieser Fluch schwebt wie die Pest über der Stadt. Und Vater und du – ihr könntet davon berührt werden.«
    Jakob umfaßte ihre Hand. Sie war kalt. »Sorge dich nicht.«
    »Wie willst du dich dagegen wehren, wenn man dir durch einen Zauber Schaden zufügt?«
    »Agnes, du weißt, daß es mein Ziel ist, Rechtswissenschaften zu studieren. Ich will mein Leben dem Kampf gegen eben diese Geißel der Menschheit widmen. In Osnabrück bietet sich mir zum ersten Mal die Gelegenheit, an einem Hexenprozeß teilzunehmen.« Er seufzte und hoffte, daß sie Verständnis für ihn aufbrachte. »Um die Dämonen zu vernichten, muß ich ihnen zunächst ins Auge blicken.«
    Vielleicht sollte ich bei mir selbst beginnen,
flüsterte ihm eine Stimme voller Häme zu.
    »Ich halte es trotzdem für keine gute Idee.« Agnes entzog ihm |25| rüde ihre Hand. Wie so oft gewann er den Eindruck, als mißfielen ihr seine vorsichtigen Berührungen. »Doch eines verspreche ich dir: Solltest du je in den Bann einer dieser Hexen geraten, werde ich um deine Seele kämpfen.«
    »Ich weiß«, sagte er.
    Agnes schlug die Bibel wieder auf und las weiter. »Laß mich jetzt allein«, forderte sie ihn unmißverständlich auf. Jakob blieb noch einen Moment lang still neben ihr sitzen und betrachtete ihre Lippen, die stumm die heiligen Worte formten, dann stand er auf und schaute im Vorbeigehen aus dem Fenster. Er konnte von hier aus den Hinterhof einsehen und bemerkte ein Kind, das sich mit einem Weidenkorb auf dem Rücken zu einem in der Nähe aufgeschichteten Stapel Brennholz aufmachte.
    Er verließ den Salon und begab sich in den Hinterhof zu Maria, der Tochter der Köchin, die ihren Korb vor dem Holz abgestellt hatte und Blätter von einem Kirschenbaum pflückte. Direkt neben den Holzscheiten befand sich ein Kaninchenstall; wahrscheinlich hatte das Mädchen beschlossen, daß es dringlicher sei, den Tieren etwas Gutes zu tun, als den Korb mit Holz zu füllen.
    Wie alt mochte sie sein? Marias letzter Geburtstag lag erst einen Monat zurück. Vielleicht war es ihr achter oder neunter gewesen, aber ganz sicher nicht der glücklichste in ihrem kurzen Leben.
    »Maria«, rief Jakob. Sie wandte sich langsam um, und obwohl er an ihren Anblick gewöhnt war, ließ ihn ihr Äußeres bei jeder Begegnung schaudern. Marias Kopf war von tiefen Narben entstellt, das rechte Auge nicht mehr vorhanden, statt dessen prangte eine häßliche verschorfte Höhle in ihrem Gesicht. Ihre rechte Hand war in Stoff gewickelt – ein nutzloser Stumpf, denn außer dem Daumen fehlten an ihr alle anderen Finger.
    Er erinnerte sich daran, in welch erbärmlichen Zustand sie sich befunden hatte, als er vor sieben Wochen in das Haus der Laurentz’ gezogen war. Das Unglück, das Maria ereilt hatte, |26| hatte damals erst fünf Wochen zurückgelegen. Zu der Zeit hatte sie noch einen engen Kopfverband getragen, der ihr gerade genug Platz zum Atmen gelassen hatte.
    In manchen Nächten hatte Jakob sich gefragt, welche Qualen dieses liebe Kind erfahren hatte. Heute nacht nun, in seiner Vision hatte er auf diese Frage eine grausame Antwort erhalten.
    »Laß mich dir helfen«, bot er sich an. »Sollst du Holz holen, damit deine Mutter den Herd anfeuern kann?«
    Maria nickte. Jakob hatte das Mädchen selten sprechen gehört. Er wußte, daß es ihr schwer fiel, denn der Hund hatte ihr auch einen Teil der Oberlippe abgerissen. Wenn sie etwas sagte, entstand dabei häufig ein Zischen, durch das ihre Worte unverständlich klangen.
    Jakob packte die Scheite in den Korb, während Maria sich nach den Blättern streckte und sie den Kaninchen zu fressen gab.
    »So, fertig«, sagte er und reichte ihr den Korb. Wie leid ihm dieses Kind tat. Wegen ihrer verkrüppelten Hand würde sie
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