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Hexenopfer

Titel: Hexenopfer
Autoren: Beverly Barton
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Zeit, dass wir unsere Höhle verlassen«, sagte Royce. »Bald bricht der Tag an. Ich will nicht bis auf die letzte Minute warten, will alles perfekt vorbereitet haben.« Sein Blick wanderte von ihrem Gesicht bis zu den Füßen. »Bestimmt tröstet es dich zu wissen, dass deine großartigen hellseherischen Fähigkeiten nach dir weiterleben werden, dass deine Macht auf mich übergeht, wenn du stirbst.«
    »Du irrst dich«, erwiderte Genny. »Du wirst meine Macht niemals besitzen. Verstehst du mich, Royce? Wenn ich sterbe, werden meine besonderen Fähigkeiten mit mir sterben. Meine Talente sind angeboren. Sie können auf niemanden übertragen werden.«
    Er hob sie vom Boden und trug sie aus der Höhle. Sie wand und krümmte sich mit der wenigen Kraft, die ihr noch geblieben war, und versuchte es ihm möglichst schwer zu machen, sie zu halten. Er blieb stehen, stellte sie auf die Füße und packte sie am Genick.
    »Warum hast du keine Angst?«, fragte er. »Du wirst sterben, und niemand kann dich retten.«
    Genny konnte sie ganz in der Nähe spüren. Sie kamen zu ihr, zu Dutzenden, und zeigten Dallas den Weg.
    »Du wirst sterben«, sagte Genny mit ruhiger Stimme.
    Er versuchte erneut, sie hochzuheben, aber Genny ließ sich auf die Knie fallen. Kommt zu mir. Ihr seid nah daran. Sehr nah.
    Royce funkelte sie wütend an. »Entweder arbeitest du mit, oder ich schleife dich von hier zum Altar.«
    Genny wog ihre Möglichkeiten ab. Royce zerrte sie hoch und warf sie sich über die Schulter. Sie blieb ruhig dort liegen, rief aber ununterbrochen ihre Retter zu sich.
    Nachdem sie zwei Gewehre aus Jacobs Pick-up geholt und geschultert hatten, ging Dallas hinter Jacob her über den gewundenen Pfad, der zum Oocumma Mount hinaufführte. Sally hatte Peter und Paul freigelassen, sobald sie sich von dem Bergquell entfernt hatten, der als wild schäumender Bach quer über den Weg schoss.
    »Ich schaffe es nicht bis oben«, sagte Sally und spuckte Tabaksaft aus. »Ich warte hier und zeige den anderen den Weg.« Plötzlich schaute Sally nach oben in die sternenklare Nacht. »Was zum Teufel?«
    »Was ist los?« Jacob folgte ihrem Blick. »Ich fass es nicht!«
    Dallas schaute auf. Dutzende Eulen füllten den Himmel.
    Das traurige Heulen eines Wolfs hallte über die Berge, dann setzten mehrere wechselseitige Schreie zu einem Tierchor an. Polternde Hufe ergänzten das Rauschen geflügelter Kreaturen. Ringsum erwachte der Wald zu pulsierendem Leben. Als würden sie in eine Richtung getrieben – oder an eine Stelle gerufen –, gesellten sich Rehe und Elche zu Rotluchsen, Berglöwen, Kojoten und Rotwölfen.
    »Das ist Genny«, sagte Dallas mit einer Bestimmtheit, wie er sie noch nie im Leben empfunden hatte.
    »Ja, das ist Genny.« Jacob klopfte Dallas auf den Rücken. »Folgen Sie ihnen. Sie werden uns direkt zu ihr bringen.«
    Royce hatte einen rohen Altar aus Steinen errichtet und mit einem gefalteten weißen Laken bedeckt. Er legte Genny auf den Altar und zog ihre gefesselten Hände über ihren Kopf, damit ihre Brüste angehoben wurden. Nach einem prüfenden Blick in den Himmel kniete er nieder und hob eine Holzkiste vom Boden neben dem Altar.
    Genny fröstelte in der kühlen Luft. Ihr war so kalt, dass sie fast gefühllos war. Vom Erdboden abgehoben, den nackten Körper vom Winterwind gequält, betete sie.
    Genny spürte, wie ihr Gebet das irdische Reich verließ und in geistige Sphären vordrang. Sie überließ sich gänzlich der Macht der Güte. Liebe umfing sie. Dallas’ leidenschaftliche Liebe. Jacobs Bruderliebe. Jazzys schwesterliche Liebe. Die Liebe all der freundlichen Seelen, die sie kannten. Und die reine, hingebungsvolle Liebe der Geschöpfe Gottes.
    Das Heulen eines Hundes vermischte sich mit dem der Wölfe. Genny betete weiter und sandte positive Energie in die Welt.
    Royce nahm das Schwert von der Samtunterlage und schwang es über Gennys Kopf.
    Er beugte sich herab und flüsterte ihr ins Ohr: »Bald, mein Lämmchen. Bald.«
    »Ja, bald.«
    Er ließ das Schwert über ihr sinken, bis es sie fast berührte, und verfolgte den gewählten Pfad mit der Klinge. »Warum schreist du nicht, Genny? Am Ende schreien sie alle. Auch du.«
    »Du wirst schreien«, sagte sie ihm.
    Genny warf einen Blick nach Osten. Ein blassrosa Hauch kroch über den dunklen Horizont.
    »Sobald die Sonne dieses Schwert berührt, wird alles, was ich je gewollt habe, mir gehören«, sagte Royce triumphierend.
    »Sieh dich um«, forderte ihn Genny auf. »Sieh
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